Tränen des Mondes
ist ein guter, freundlicher Mann. Wir haben eng zusammengearbeitet, er war mir ein großer Trost. Ich war einsam …«
»Ich auch, verdammt noch mal, Olivia! Ich habe Amy nie auch nur mit dem kleinen Finger angerührt. Ich habe dir geschworen, ich würde die Sache klären. Warum hast du nicht auf mich gewartet, Olivia?«
»Bitte hör auf zu schreien, John. Vergiß nicht, wie schwierig die Umstände waren, wie hoffnungslos alles aussah. Du hattest mich belogen. Amy machte nicht den Eindruck, als würde sie dich jemals aus ihren Klauen entlassen. Was sollte ich denn machen?« Auch sie wurde lauter. »Ich habe beschlossen, mein Leben weiterzuleben. Ich habe einen Sohn, an den ich denken muß.«
Tyndall durchbohrte sie mit wütenden Blicken. Obwohl er sich zu bezwingen versuchte, zitterte seine Stimme vor Zorn, Verwirrung und Schmerz. »Warum hast du mir nicht wenigstens gesagt, daß du an eine Heirat denkst? Und mir eine Chance gegeben?«
»Was hätte das für einen Sinn gehabt? Du hättest nichts daran ändern können.«
»Ich hätte es sehr wohl geschafft, deine Meinung zu ändern!«
»Darauf konnte ich es nicht ankommen lassen«, sagte Olivia mit müder, resignierter Stimme. »Es ging alles ziemlich schnell … im Moment schien es das einzig Richtige und Sinnvolle. Gilbert hat mir einen Antrag gemacht, ich habe ihn angenommen, und wir haben im kleinen Rahmen geheiratet, ein paar Tage Urlaub gemacht und dann weitergearbeitet. Ich finde die Arbeit im
Shaw House
sehr lohnend.« Sie verstummte, dann schauten sie einander wieder in die Augen.
»Du liebst mich doch noch, Olivia?« fragte er leise.
Einen Moment lang schwieg sie und schloß gequält die Augen. »John, ich habe ein neues Leben. Ich schulde Gilbert viel. Er hat mir unglaublich geholfen, und ich bin ihm sehr verpflichtet.«
»Und was ist mit deiner Verpflichtung mir gegenüber? Wir wollten doch den Rest unseres Lebens miteinander verbringen. Du bestrafst mich für etwas, was ich nicht zu verschulden habe.«
»Bitte, John, lassen wir das, was wir nicht mehr ändern können. Jetzt ist alles zu spät.« Sie holte tief Luft. »Mit dir wird mich immer eine tiefe Freundschaft verbinden. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für die
Star of the Sea
, aber mehr kann es zwischen uns nicht geben. Nicht mehr.« Sie wandte sich ab, dabei wußte sie, daß sie sich mit ihren letzten Worten verraten hatte.
Er ging langsam zu ihr hinüber, setzte sich auf einen zierlichen Bugholzstuhl neben ihrem Schreibtisch und griff nach ihrer Hand. Als sie seine Finger spürte, entzog sie sich brüsk seiner Berührung.
»Olivia, man hat im Leben nur einmal die Chance, das wahre Glück zu finden.«
»John … ich bitte dich. Ich kann nichts mehr ändern. Du kennst mich, ich muß tun, was ich für richtig halte. Und es ist richtig, daß ich an Gilberts Seite bleibe und mit ihm die Arbeit fortsetze, die wir begonnen haben. Es ist mir eine große Befriedigung, diesen Mädchen zu helfen …«
»Und was ist mit mir?«
Sie blickte ihn an, und ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie die Liebe in seinen Augen, die Hoffnungslosigkeit in seinem Gesicht sah. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll …«
»Ich kann deinen Entschluß nicht ändern?«
Sie hörte an seiner Stimme, daß er sich geschlagen gab. Tyndalls Feuer und Ungestüm waren erloschen. Sie schüttelte nur den Kopf, weil sie ihrer Stimme nicht traute.
Er stand auf und wandte sich von ihr ab. »Ich wünsche dir nur das Beste, Olivia.«
»Was wirst du jetzt tun?« flüsterte sie.
An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Ich werde warten.« Dann schloß sich die Tür hinter ihm.
Olivia legte ihr Gesicht in die Hände und weinte leise. Warum hatte sie nicht gewartet? Ihr Stolz und ihr Zorn hatten jede Aussicht auf Glück zunichte gemacht. Obwohl das Schicksal eingeschritten war und Tyndalls Ehedilemma gelöst hatte, hatte sie ihm nie eine Chance gegeben, sich aus seiner Zwangslage zu befreien und ihr seine Liebe zu beweisen.
Doch sie hatte ihre Wahl getroffen. Nie würde sie Gilbert Shaw so verletzen, wie sie verletzt worden war. Ihr Herz schrie nach Tyndall. Sie wünschte, er hätte sie angebrüllt, wäre betrunken hereingekommen und hätte ihr etwas an den Kopf geworfen. Nie würde sie vergessen, wieviel Trauer und Verlorenheit sie in seinem Gesicht gesehen hatte, nie würde sie sich verzeihen, daß sie die Ursache dafür war.
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Zwanzigstes Kapitel
T yndall sah auf seine weißen Wildlederschuhe
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