Tränen des Mondes
mehr beherrschen konnte und ebenfalls aufsprang. »Blödsinn! Zuchtperlen sind echte Perlen. Sie stellen keine Bedrohung der Naturperlen dar!«
Ein weiterer Perlenunternehmer stand auf. »Ich habe auf Thursday Island Zuchtversuche gesehen, eine verdammt heikle Sache, und was dabei rauskam, war völlig wertlos. Ich habe auch schon japanische Perlen gesehen, ihr Lüster war ziemlich armselig. Meine Sorge ist die: Wenn wir unsere Austern, die eine wesentlich höhere Qualität haben, zur Zucht benutzen, könnten wir vielleicht Perlen mit einem besseren Lüster erzielen, die den Wert unserer Naturperlen untergraben würden.«
Wieder sprang Tyndall auf. »Das ist genau der Punkt!« rief er. »Wir können gute Perlen machen, Perlen mit anständigem Lüster, die bei denjenigen auf Nachfrage stoßen werden, die sich keine Naturperlen leisten können!«
Die Argumente tobten hin und her, und Tyndall sank mit versteinertem Gesicht auf seinen Stuhl, enttäuscht, daß er so wenig Unterstützung bekam, und fassungslos, daß es seinen Kollegen so sehr an visionärem Denken und Verständnis mangelte. Mabel Metta lächelte ihm ermutigend zu, was er mit einem Achselzucken beantwortete.
Die Debatte ging zu der Frage über, wie man die Zuchtperlenindustrie, falls überhaupt eine solche entstehen sollte, kontrollieren könne. Es dauerte nicht lange, bis jemand aussprach, was fast alle dachten.
»Früher oder später, wahrscheinlich gleich nach dem Startschuß, werden sich die Japaner das Geschäft unter den Nagel reißen«, rief ein Perlenunternehmer, und von fast allen anwesenden Weißen kam zustimmendes Gemurmel. Der Sprecher fuhr fort: »Wir haben schon genug Probleme mit den Tarnmanövern der Japaner. Ihr könnt Gift darauf nehmen, daß sie und nicht wir das Geschäft mit den Zuchtperlen machen werden. Was kommt also für uns dabei raus? Gar nichts.«
Ein Beifallssturm brach los.
Aus dem hinteren Teil des Saals drang ein höflicher Ruf nach vorn. »Herr Vorsitzender!« Mr. Takahashi hatte sich gemeldet. Alle Köpfe drehten sich um, als der Vorsitzende die Wortmeldung entgegennahm. Mr. Takahashi verbeugte sich leicht. »Wir haben unsere eigenen Diskussionen über diese Idee von Kapitän Tyndall geführt und sind gegen sein Vorhaben. Wir meinen, es wäre schlecht für die Wirtschaft von Broome. Nicht gut für unsere Taucher, nicht gut für die Geschäftsleute, erzeugt Spannungen zwischen Japanern und anderen Leuten aus Broome. Wir sagen nein zur Perlenzucht. Wir lassen keinen Japaner ein solches Unternehmen beginnen.« Unter lautem Applaus setzte er sich.
Nun wandten sich alle Köpfe zu Tyndall. Langsam stand er auf und ergriff ruhig das Wort. »Ich verstehe, was ihr alle sagt. Ich glaube, ihr irrt euch. Ihr seid als Geschäftsleute zu kurzsichtig. Kokichi Mikimoto ist ein Mann mit einer Vision, einem Traum, einer Leidenschaft. Er sieht in die Zukunft. Eines Tages wird man in Broome mit künstlichen Mitteln große, perfekte Perlen von einem solchen Glanz und solcher Qualität hervorbringen, daß nicht einmal Leute wie mein guter Freund Tobias Metta sie von einer Perle wird unterscheiden können, wie sie ein Taucher vom Meeresboden heraufholt.«
Tyndall wollte nach dem offiziellen Abschluß des Treffens nicht länger bleiben, er zog sich in sein Büro zurück und setzte sich an den Schreibtisch, um sich in einem Brief an Olivia seine ganze Wut von der Seele zu schreiben, doch nach einer halben Seite knüllte er den Bogen zusammen, warf ihn über die Schulter und griff zur Whiskyflasche.
Einige Wochen später erhielt Tyndall einen Brief von Olivia, der ihm auch keinen Trost brachte.
Lieber John,
ich habe in der Zeitung einen Bericht über die Zuchtperlendebatte gelesen. Wie bedauerlich für Dich! Die Mettas haben mir geschrieben, Du hättest Dich temperamentvoll verteidigt. Vielleicht bist Du Deiner Zeit voraus, John. Die Zeiten sind schlecht, der Krieg spitzt sich zu, die Zahl der Toten steigt. Hab Geduld, ich spüre, daß Deine Zeit kommen wird.
Er legte ihren Brief zu den anderen auf den Stoß und hielt den Wänden des leeren Büros eine erbitterte Ansprache. »Die einzige Zeit, die für mich zählt, Olivia, ist die Zeit mit dir. Und was dich angeht, sind die Aussichten für mich herzlich schlecht.«
Olivia sehnte sich nach Briefen von Hamish, die nur selten und in großen Abständen kamen. Als ein dicker, in Port Said aufgegebener Umschlag eintraf, kochte sie sich Tee und setzte sich allein ins Wohnzimmer,
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