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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Krieg. Jeder kannte jemand, der einen Verlust erlitten hatte. Damit ließ sich am besten fertig werden, wenn man mit dem Gestern abschloß und dem Morgen entgegenblickte.
     
    Am ersten Vormittag, an dem Olivia wieder arbeitete, begegnete sie auf ihrer Runde durch das Haus dem neuen Mädchen, das ein Zimmer mit drei anderen teilte.
    Sie lächelten einander an, und Olivia warf einen Blick auf den ärztlichen Untersuchungsbericht. »Es freut mich, Maria, daß Sie anscheinend sehr gesund sind. Ich bin sicher, es wird sich alles zum Guten wenden.«
    Olivia saß neben dem Bett, auf dem Maria sich zusammengekauert hatte, immer noch in dem einfachen Hemd, das alle ›Neuen‹ zur Untersuchung bekamen. Sie sah aus wie ein Häufchen Elend, Tränen liefen ihr übers Gesicht.
    Olivia griff nach ihrer Hand. »Mein liebes Kind. Ich kann Ihnen gut nachfühlen, wie es Ihnen geht … wirklich.« Und als die junge Frau ihr zorniges, tränenverschmiertes Gesicht hob, brachte Olivia mühsam die Worte hervor: »Ich habe in diesem Krieg mein einziges Kind, meinen Sohn, verloren.«
    Über Marias Gesicht flog sofort ein Ausdruck der Reue, doch sie sprach mit trauriger Bitterkeit weiter. »Ich begreife nicht, warum er gegangen ist. Niemand hat ihn dazu gezwungen.«
    »Möchten Sie gern über ihn reden?«
    Die junge Frau schüttelte den Kopf.
    »Dann schlage ich vor, wir treffen eine Abmachung. Wir können unseren Schmerz teilen, aber wir brauchen nicht darüber zu reden und ihn dauernd wieder ans Licht zu zerren. Sie und ich, wir beide müssen unseren Kummer einfach tragen, Stunde für Stunde, Tag für Tag. So geht es, glaube ich, am besten. Sie müssen jetzt an Ihr Kind denken.«
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann nicht zu meiner Familie zurück … so eine Schande! Wir waren noch nicht verheiratet … wir wollten bald heiraten, doch dann wurde er einberufen, alles ging so schnell …«
    »Warten wir ab. Wenn das Baby da ist, werden Sie – und Ihre Eltern – vielleicht alles ganz anders sehen. Schließlich ist es ihr Enkelkind.«
    Die junge Frau sah nicht gerade überzeugt aus, schien aber durch Olivias Worte etwas getröstet.
     
    Maria wurde bald mit dem Alltag im
Shaw House
vertraut. Sie staunte über das Mitgefühl und die großzügige Hilfe, die die Mädchen hier erfuhren, wenn sie ein Zuhause auf Zeit suchten. Drei von ihnen waren schwanger, eine war zusammengeschlagen worden, weil sie aus einem Bordell geflohen war, die beiden anderen waren obdachlose Aborigines, die als kleine Mädchen ihren Familien entrissen, als Dienstboten ausgenutzt und mißhandelt worden waren. Sie waren ihren Arbeitgebern davongelaufen und hatten einige Zeit auf der Straße gelebt.
    Maria machte sich nützlich, und Olivia rief immer öfter nach ihr, damit sie ihr half. Schließlich fragte sie Maria, ob sie ihr nach der Geburt nicht bei ihrer Arbeit im
Shaw House
zur Seite stehen wolle. Olivia mochte die ruhige, angenehme junge Frau, die ihr langsam richtig ans Herz wuchs. Olivia erklärte sich das durch ihren gemeinsamen Verlust, doch sie erkannte auch Marias Fähigkeiten.
    Gilbert unterstützte diese Freundschaft, weil er hoffte, Olivia würde dadurch von ihrem Kummer abgelenkt. Sie redeten nie von Hamish, Olivia hielt ihren Schmerz streng unter Verschluß. Sie hatte Hamishs Fotos von der Wand genommen und in einer Kommode neben ihrem Bett verborgen. Doch einmal hatte Gilbert Olivia überrascht, wie sie im Dunkeln saß und ein Foto an ihre Brust gepreßt hielt. Ohne zu wissen, daß sie im Schlafzimmer war, hatte er das Licht angeschaltet und schockiert den Schmerz in ihrem blassen, reglosen Gesicht gesehen. Er hatte sich neben sie gesetzt und sie stumm umarmt, dabei hatte er aus ganzem Herzen gewünscht, daß sie wenigstens weinen oder die Last mit ihm teilen könnte.
     
    Marias Baby kündigte sich mitten in der Nacht an, und als Dr. Shaw geholt wurde, bestand Olivia darauf, ihn zu begleiten.
    Seltsame Gefühle und Gedanken bedrängten Olivia, als sie neben der heftig atmenden jungen Frau saß. Erinnerungen an die Geburt von James kehrten mit großer Eindringlichkeit zurück, und einen Moment lang drohte die Trauer über den Verlust ihrer beiden Söhne, ihrer einzigen Kinder, Olivia zu überwältigen. Sie hielt Marias Hand fest umfaßt, als ihr Baby auf die Welt kam. Olivia hoffte inbrünstig, daß Maria als Mutter nie so leiden müßte wie sie selbst.
    Gilbert hob das schreiende Baby hoch. »Ein Mädchen«, verkündete er.
    Es war ein

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