Tränen des Mondes
Bewegungen auf, und er hing wie eine Marionette im Wasser. Er neigte den Kopf zurück und spähte nach oben.
Es kam ihm vor, als blickte er durch das falsche Ende eines Fernrohrs, so unwirklich schien die Szene, die sich über ihm abspielte, und sein Herz krampfte sich vor Furcht zusammen. Die Silhouette der
Bulan
wurde von einer riesenhaften schwarzen Gestalt überdeckt, die genau unter dem Schiffsrumpf hing. Tyndall befand sich hinter dem Logger. Als seine Sicht besser wurde, sah er eine gewaltige Schwanzflosse vor sich aufragen. In hilflosem Schrecken starrte er nach oben. Der Wal stieg auf, dabei rammte sein Rücken gegen die
Bulan
. Tyndall erwartete voller Entsetzen, daß der Wal den Logger umschlagen würde.
An Deck verlor jeder das Gleichgewicht, als die
Bulan
hin und her schlingerte, während der Wal sich die Muscheln von seiner verkrusteten Haut abscheuerte.
Der Logger setzte sich langsam in Bewegung, als die Segel gesetzt wurden, doch man konnte nicht mit voller Kraft fahren, bevor der Kapitän nicht sicher an Bord war, und das zuwege zu bringen, war nun fast unmöglich, da der Wal sich zwischen dem Schiff und dem Taucher befand. Taki schlug das Rettungsseil und den Atemschlauch um einen Poller. Yoshi und Ahmed berieten sich hastig, und Ahmed rief Niah und der Mannschaft zu, sich mit Metallgegenständen – Töpfen, Werkzeugen oder irgend etwas – zu bewaffnen und damit soviel Lärm wie möglich zu machen, in der Hoffnung, den Wal in die Flucht zu schlagen. Niah rannte zur Hauptkabine, packte Tyndalls Gewehr, prüfte, ob es geladen war, und eilte an Deck zurück.
»Tidak!«
rief Ahmed erschrocken, als er sie kommen sah. Ein verwundeter, aufgebrachter Wal konnte ein Boot in Sekunden zerstören. In diesem Augenblick geriet das Schiff wieder ins Wanken, und Niah verlor das Gleichgewicht. Sie ließ das Gewehr fallen, eine Kugel ging los und sauste ins Meer. Der Knall schien gewirkt zu haben, denn der Wal verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war. Einige Sekunden lang standen alle wie erstarrt da und konnten ihr Glück kaum fassen. Dann schrie Niah, daß sie sich beeilen mußten. Ahmed brüllte Anweisungen und sie begannen, Tyndall beizuholen.
Da schob sich der Wal wie eine gewaltige Lok zwischen Tyndall und das Schiff. Er krachte gegen den Schiffsrumpf, als er vorbeischoß und wegtauchte, seine weißgefleckten Schwanzflossen verfingen sich in Tyndalls Seilen und durchschnitten sie wie feine Haare.
Tyndalls Körper wurde wild und schmerzhaft durch das aufschäumende Kielwasser des Wals gewirbelt, als dieser das Rettungsseil und den Atemschlauch durchtrennte. Er fürchtete, daß ihm der Helm vom Kopf gezerrt würde, seine Hände flogen instinktiv hoch und packten wie durch ein Wunder das dünne Seil, mit dem die Muschelkörbe an die Oberfläche gezogen wurden. Er rang nach Atem, als die Luft in seinem Anzug durch den zerfetzten Schlauch entwich. Er mußte beide Hände nehmen, um sich am Seil festzuhalten. Hätte er losgelassen, wäre er wie ein Stein gesunken. Seine Panik wich blankem Entsetzen, als er erfolglos versuchte, sich am Seil hochzuziehen.
Kaum hatte Taki Alarm gegeben, sprang Niah auch schon über Bord, im letzten Moment gelang es ihr noch, sich den Sarong abzustreifen. Yoshi und Taki schossen an ihr vorbei. Mit kräftigen Stößen waren sie in Sekundenschnelle bei Tyndall, nahmen ihn in die Mitte und stiegen auf. Als sie auftauchten, packte Niah das, was vom Atemschlauch übriggeblieben war, und hielt es über Wasser, und unter dem lauten Jubel der Mannschaft wurden sie zur Strickleiter gezogen.
Tyndall war beinahe bewußtlos und zu schwer, um von seinen Rettern an Bord gehievt zu werden. Yoshi und Taki stützten ihn an der Leiter im Wasser ab, während sie die Brustgewichte entfernten und den Helm abschraubten. Die frische Luft belebte Tyndall wieder, und er brachte es fertig, sich ein Stück an der Strickleiter hochzuhangeln, so daß er an Bord gezogen werden konnte. An Deck brach er zusammen. Er blutete aus Nase und Ohren, und seine Haut war aschfahl. Niah kletterte über die Bordwand, lief zu ihm und barg seinen Kopf in ihrem Schoß, während die Männer ihm den Taucheranzug und die Stiefel auszogen. Niah zog ihm die Handschuhe aus und rieb seine Hände, und als Tyndall hustete und Farbe in sein Gesicht zurückkehrte, küßte sie den Perlmuttanhänger, der noch um seinen Hals hing.
Ahmed brachte die
Bulan
auf Kurs und sah, daß einige andere Logger, die den Walangriff
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