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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Muschelkorb und schob ihn am Seil für die Körbe hoch, während sie mit raschen Stößen nach oben schwamm.
    Zwei Mannschaftsmitglieder halfen ihr bereitwillig an Bord und hoben den halbvollen Korb an Deck, während sie Niahs nassen, glänzenden Körper anstarrten.
    »Ist das alles? Schickt den Korb wieder runter«, sagte Ahmed, ohne Niah zu beachten.
    Yoshi enthielt sich einer Bemerkung, er erinnerte sich an das erste Mal, da er in die Welt unter Wasser getaucht war, die er nun manchmal als seine richtige Welt ansah. Keiner wußte, daß er beim Arbeiten sang. Die angenehmen Klänge hallten in seinem Kupferhelm wider, wenn er die Volkslieder seiner Kindheit vor sich hin summte, die seine Mutter ihm beigebracht hatte. Obwohl er sich der Gefahren stets bewußt war, fühlte er sich im Meer heimisch und liebte seine Arbeit, trotz der oft unerträglichen Kälte. Die wilde Ausgelassenheit der anderen Taucher während der Landaufenthalte nach jeder Saison, die Streitereien, die Kämpfe, die Bordelle und Glücksspiele, die verschworene Gemeinschaft der anderen Japaner – all das interessierte ihn nicht. Er genoß den Ruf eines Einzelgängers, und das war einer der Gründe, warum Tyndall und Ahmed ihn angeheuert hatten.
    Niah, die nun wieder angezogen war und von der Mannschaft nicht mehr beachtet wurde, hing erneut über der Bordseite und sah zu, wie Tyndalls Luftblasen in gleichmäßigen Abständen träge nach oben stiegen und an der Oberfläche zerplatzten.
    Tyndall war von der Unterwasserwelt gefesselt. Er hatte das Gefühl, schon Stunden auf dem Meeresgrund verbracht zu haben. Sein Körper und sein Kopf schmerzten, und er hatte kein Zeitgefühl mehr. Hätten nicht seine Stiefel fest auf dem Meeresboden gestanden und wäre nicht von oben ein schwacher Lichtschimmer durch das silbrig glänzende Wasser zu ihm gedrungen, hätte er mühelos die Orientierung verlieren und in einen trügerischen Dämmerzustand versinken können. Er konzentrierte den Blick auf kleinste Objekte und beobachtete ein winziges Meereslebewesen, das sich zentimeterweise über einen mit Korallen bewachsenen großen Stein bewegte.
    Niahs Aufmerksamkeit wurde durch eine entfernte Bewegung auf dem Wasser von den an der Oberfläche zerplatzenden Luftblasen abgelenkt. Es war nur ein flüchtiger Moment, und sie wollte gerade wegschauen, als sie die Bewegung, nur ein kurzes Aufwallen des Wassers, erneut wahrnahm. »Wal!« schrie sie.
    Alle Köpfe schossen hoch, und jeder starrte in die Richtung ihres ausgestreckten Arms. Sekunden, wohl eine Minute, verstrichen in gespannter Stille. Yoshi stand aufrecht da, beschattete seine Augen mit der Hand und suchte den Horizont ab. Taki hielt Tyndalls Seil und wartete auf den Befehl, dreimal kurz zu ziehen. Die Muschelöffner ließen die Messer sinken und spähten aufs Meer. Einzig die Männer an der Pumpe bewegten sich. Ahmed drehte sich fragend zu Niah um.
    Sie wollte schon wütend darauf beharren, daß sie das Spritzen sehr wohl gesehen hatte, als ein riesiger Wal – so laut, so schnell, so überraschend, daß alle wie erstarrt waren – neben dem Logger auftauchte und mit seinen gewaltigen Flossen gegen den Schiffsrumpf schlug.
    Niah schrie, und die
Bulan
erzitterte unter der Wucht eines alten Walbullen, der länger war als der Logger. Die Mannschaft brach in Geschäftigkeit aus. Taki schickte ein Notsignal zu Tyndall und gab ihm zu verstehen, daß sie ihn heraufziehen würden, während Ahmed und die Mannschaft eilig die Segel setzten.
    »Schnell, Tuan zurückholen, schnell«, rief Niah und umklammerte Takis Arm, als er das Rettungsseil einholte. Ahmed brüllte sie auf malaiisch an, aus dem Weg zu gehen. Sie trat beiseite und rang verzweifelt die Hände. Der Wal tauchte erneut auf. Seine Haut war mit Muscheln überkrustet, und seine kleinen Augen blickten tückisch.
    An Bord brach beinahe Panik aus, als der Wal an der Steuerbordseite entlangstreifte und sich das Boot nach Backbord neigte. Der Helfer schlug aufs Deck und verlor augenblicklich die Kontrolle über das Rettungsseil und den Atemschlauch, die über die Backbordseite hingen.
    Tyndall, der unsanft nach oben gezerrt worden war, fiel nun wieder auf den Meeresgrund zurück und fragte sich, was da oben, verdammt noch mal, los war. Bevor er sich das Geschehen erklären konnte, wurde er erneut nach oben gerissen. Er spürte, wie der Druck in seinem Kopf anwuchs und atmete gierig Luft ein. Fieberhaft überlegte er, was passiert sein könnte. Dann hörten alle

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