Tränen des Mondes
»Olivia wird bei Monsieur Barat einen guten Preis dafür erzielen. Ich kann es gar nicht abwarten, sie ihr zu zeigen. Kann ich sie gleich mitnehmen?«
»Wäre das klug?« erwiderte Toby und stopfte die Perlen wieder in das Säckchen.
»Ich bin bewaffnet, und außerdem käme niemand auf die Idee, daß ich Perlen bei mir habe. Es würde Olivia ein wenig aufheitern. Dieser ganze Aufruhr hat ihr sehr zugesetzt. Aber der scheint sich ja jetzt zu legen, nachdem der Richter durchgegriffen hat.«
»Na gut, wenn Sie darauf bestehen.« Toby reichte Conrad das Samtsäckchen, das dieser in seiner Hosentasche verschwinden ließ.
»Kommen Sie alleine zurecht?« fragte er.
»Ich habe einen kräftigen Knüppel hier und meinen Revolver. Ich habe keine Angst. Die Unruhestifter sind bloß hinter den Kupangern her. Das wird sich wieder legen. Mabel fand es richtig, daß ich die Nacht hier verbringe.«
»Ich gehe geradenwegs nach Hause, Toby. Habe mich sehen lassen, das sollte reichen.«
»Sehen Sie sich vor, alter Freund. Gute Nacht.« Mit diesen Worten drängte er Conrad zur Tür hinaus, verriegelte sie und schob den schweren Eichenstuhl wieder davor.
Conrads Schritte hallten auf den Holzplanken des Fußpfads vor Tobys Haus. Rasch trat er auf die staubige Straße, die seinen Tritt dämpfte. Einen Moment lang blieb er stehen, weil er meinte, Fußtritte hinter sich gehört zu haben, aber er konnte nichts entdecken. Wenige Meter weiter überquerte er die Straße und passierte ein dunkles Gäßchen. Am Himmel hatten sich schwarze Wolkenbänke gebildet und vor den Mond geschoben. In der Ferne zuckten die ersten Blitze, dumpfes Donnergrollen wurde hörbar.
Conrad wollte gerade um eine Ecke biegen, da vermeinte er, zwischen zwei Häusern einen Schatten huschen zu sehen. Er hielt an, die Hand auf dem Revolver, und lauschte in die Dunkelheit. Da er nichts entdecken konnte, ging er weiter. Nach nur wenigen Schritten wurde er von hinten gepackt und in den Hauseingang einer chinesischen Wäscherei gedrängt. Ein Arm drückte ihm die Kehle zu, und als er gerade versuchte, den eisernen Griff um seinen Hals zu lösen, verspürte er einen scharfen Schmerz in der Brust. In der kurzen Sekunde, die ihm blieb, ehe es dunkel um ihn wurde, konnte er klar und deutlich das Firmenschild auf der anderen Seite der Straße lesen: KIMBERLEY EMPORIUM , FÜR JEDEN BEDARF .
Sein Angreifer ließ den leblosen Körper zu Boden sinken und begann hastig, seine Taschen zu durchzuwühlen. Da hörte er hinter sich lautes Rufen und eiliges Getrappel. Rasch steckte der Kupanger sich Conrads Revolver in den Gürtel, stopfte den kleinen Samtbeutel in die Hosentasche und wollte sich davonmachen – da schnitt ihm der
kris
die Kehle durch. Ahmed steckte den
kris
in die Scheide zurück, fand den Beutel mit den Perlen und steckte ihn ein. Er stand noch über den Kupanger gebeugt, als ein halbes Dutzend Japaner mit lautem Geheul und Stöcke schwingend um die Ecke gerannt kam. Ahmed schnappte sich Conrads Revolver aus dem Gürtel des Kupangers, und immer noch in der Hocke, feuerte er zweimal über die Köpfe der Japaner. Sie blieben augenblicklich stehen. Ahmed sprang über die beiden leblosen Gestalten am Boden und war in einer dunklen Gasse verschwunden, als Major White mit einer bewaffneten Spezialeinheit angeprescht kam.
Die Japaner stoben davon, und Sekunden später kniete der Major neben den reglosen Körpern. Er hatte nur Augen für den Europäer und drehte ihn auf den Rücken.
»Großer Gott, es ist Conrad Hennessy«, stieß er hervor.
Trotz der Ausgangssperre verbreitete sich die Nachricht von Conrads Ermordung wie ein Lauffeuer. Tyndall war sofort zur Stelle. Nachdem ihm der Tod seines Freundes und Partners bestätigt worden war, eilte er zu Toby Metta, der ihm von Conrads Besuch berichtete. Der Perlenpolierer war untröstlich und ließ seinen Tränen freien Lauf.
»Ich habe ihn gewarnt, habe ihm gesagt, wie dumm es sei, draußen herumzulaufen, und dann noch mit Perlen in der Tasche. Aber er wollte seine Pflicht tun … er war ein guter Mensch … so ein guter Mensch.«
Tyndall legte ihm begütigend die Hand auf den Arm. Er war keiner Worte fähig, nickte nur voller Mitgefühl und Trauer. Dann ging er zurück an den Schauplatz der schrecklichen Tat.
Conrads Leiche wurde fortgeschafft. Der Major, der Friedensrichter und der Polizeichef wandten sich zu Tyndall um. Trotz der Ausgangssperre drängte sich im Hintergrund eine kleine Menschenmenge, die sich
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