Traenenengel
war ein Liegerad und hatte dicke, schwarze Reifen
und einen hellgrauen Rahmen. Sälzers Blick verharrte einen Moment darauf.
»Volltreffer«, sagte Masaryk, der das Liegerad ebenfalls entdeckt hatte. »Wir müssen da rein.«
Sälzer betrachtete den Zaun. »Wenn wir müssen, müssen wir wohl«, sagte er, griff nach einer der oberen Querstangen und zog
sich daran hoch.
Masaryk begriff schnell und folgte Sälzer, der bereits den oberen Rand des Zauns erreicht hatte und sich auf die andere Seite
hievte.
Sälzer war überrascht, dass sein Streifenpartner ihm ohne die Klassikerfrage nach dem Durchsuchungsbefehl folgte und somit
zwar nicht seine Karriere aufs Spiel setzte, aber immerhin riskierte, dass sie einen unschönen Knick bekam.
Die Hunde bellten noch lauter, als Sälzer und Masaryk auf der anderen Zaunseite nach unten kletterten.
»Verdammt!«, schimpfte Sälzer, als er mit dem rechten Fuß in einer Schlammpfütze landete, in der er fast bis zum Knöchel versank.
Er drehte sich um, wollte einen Schritt Richtung Haus gehen, doch erkam nicht weit. Er nahm eine hastige Bewegung wahr, und bevor er irgendetwas begriff, spürte er etwas Kaltes, Spitzes an seinem
Hals.
»Keinen Schritt weiter!«, befahl eine gehetzte Stimme.
Sälzer wagte es nicht, sich zu bewegen. Nicht, solange das Kalte und Spitze noch an seinem Hals war. Er sah in zwei Augen,
die so hellblau waren, dass sich die Iris kaum von ihrer weißen Umgebung abhob. Die Wimpern waren rötlich, sie zitterten.
Die Augen waren weit aufgerissen. Unter dem rechten Auge prangte eine Narbe. Sie war schlecht verheilt und nässte. Der Mann
trug einen grauen Filzhut mit breiter Krempe wie ein Gaucho.
»Legen Sie das Teil da weg!«, rief Masaryk, der auf den Mann zuging. Seine Stimme klang höher als sonst.
»Keinen Schritt näher, habe ich gesagt. Das gilt auch für Sie.«
Erst jetzt erkannte Sälzer, womit der Mann sie bedrohte. Es war eine dreizinkige Heugabel aus Stahl. Er hielt sie jetzt so,
dass er Sälzer und seinen jungen Partner gleichzeitig damit in Schach halten konnte.
»Was wollt ihr hier, ihr durchgeknallten Turteltierheinis? Ich werde euch anzeigen. Hausfriedensbruch ist das!« Der Mann stieß
die Heugabel in die Luft.
Sälzer wich instinktiv zurück. Schnell zog er seinen Dienstausweis aus der Jackentasche. »PolizeiinspektionTelpen. Hauptpolizeimeister Sälzer. Mein Kollege Masaryk.« Sälzer deutete kurz mit dem Kopf zu seinem Praktikanten. »Legen
Sie die Heugabel weg. Sonst bekommen Sie eine Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.«
Der Mann rührte sich nicht. Langsam wanderten seine hellen Augen zwischen den beiden Polizisten hin und her. Schließlich ließ
er die Heugabel sinken. Er spuckte auf den Fußboden, direkt vor Sälzer.
Sälzer sah, wie die Spucke Bläschen bildete, dann blickte er auf. »Wilbert Felber, nehme ich an?«
»Was wollen Sie von mir? Haben die Tierheinis jetzt die Bullen auf mich gehetzt, oder was?«
»Immer mit der Ruhe, Herr Felber. Wir wollen gar nicht zu Ihnen«, sagte Masaryk. »Wir wollen Ihren Sohn sprechen.«
Sälzer sah, wie Felbers Hand zuckte.
Felber steckte die Hand in die Tasche seines blauen, verwaschenen Overalls. »Welchen?«
»Sie haben mehrere Söhne?« Masaryk wagte einen Schritt auf Felber zu.
»Ich dachte, Bullen wissen immer alles.« Felber sah kurz zum Haus. »Der Große hat schon die Mücke gemacht, dem war es in Kraldorf
zu langweilig. Manchmal kommt er vorbei. Aber immer seltener. Was soll er auch hier. Der Kleine müsste noch in der Schule
sein.«
»Ist das Patrick?«, fragte Masaryk.
Felber nickte. Um seine Mundwinkel lagen zweitiefe Falten, wie Sicheln. Sein Hals war von Kratzern übersät.
Sälzer ging langsam an Felber vorbei und auf das Liegerad zu.
»Was wollen Sie von ihm?«, fragte Felber, der zwischen Masaryk und Sälzer nervös hin und her blickte. »Hat er etwas angestellt?«
»Wir wollen nur mit ihm reden«, sagte Masaryk.
»Ist das sein Liegerad?«, fragte Sälzer, ohne den Blick davon zu heben.
»Ja. Wieso? Hat er sich selbst zusammengebaut. Sind Sie deswegen hier? Ist es verboten, damit im öffentlichen Straßenverkehr
zu fahren, oder was?«
»Von mir aus kann Ihr Sohn damit fahren, wo er will.« Sälzer beugte sich über das Liegerad. Er betrachtete den Sattel, der
ihn an die Bonanzaräder seiner Kindheit erinnerte. Die Reifen waren breit, der Rand von einer Erdkruste bedeckt. Sälzers Blick
glitt über den
Weitere Kostenlose Bücher