Traenenengel
zu meinem
Leben. Er ist ein Fremder. Das fühlt sich einfach ... so falsch an.«
»Es fühlt sich für euch völlig verschieden an«, sagte Trixi. »Deswegen funktioniert es nicht mehr. Richtig verstehen kann
man das gar nicht.«
»Ich will es aber verstehen. Sonst dreh ich komplett ab.« Flora fuhr sich mit der flachen Hand über die Stirn. »Es ist irre
– dauernd stelle ich mir vor, wie er alles bereut, zu mir zurückkommt und wir für alle Ewigkeit glücklich sind. Eine Sekunde
später möchte ich meinen Kopf wiederum in eine Waschtrommel stecken, damit Andro herausgeschleudertwird. Oder weißt du, was ich brauche? So ein Gehirnwaschgerät, wo man ganze Personen und Erinnerungen löschen kann.«
»Wie die vom See?« Trixi biss sich auf die Unterlippe, kaum hatte sie den Satz gesagt.
Flora reagierte nicht darauf. »Karo meint, ich bin sechzehn und wenn ich mit sechzig zurückblicke, werde ich wahrscheinlich
gar nicht mehr wissen, wer Andro war. Aber mir ist scheißegal, wie es mir mit sechzig geht. Es tut jetzt weh.« Flora zog die
Beine an sich heran und umklammerte sie mit den Armen. »Außerdem werde ich vielleicht noch nicht mal sechzig.«
»Was soll denn das nun schon wieder heißen?« Trixi gab Flora einen leichten Knuff. »Du wirst 100 und hast von den Kindern
der großen Liebe deines Lebens mindestens fünfundzwanzig Enkelkinder. Und bis es so weit ist, bin ich ja auch noch für dich
da. Und deine Mutter sowieso.«
»Meine Mutter?« Flora legte das Kinn auf eins ihrer Knie und machte einen Schmollmund. »Die ist vielleicht noch ein paar Monate
da. Dann haut sie ab nach Italien.«
»Wieso das denn? Was soll deine Mutter in Italien?«
»Ich habe die Broschüren gesehen. Sie und Götz kaufen sich dort zusammen ein Haus.«
»So ein Blödsinn, Flora. Deine Mutter würde dich nie alleine lassen.«
»Wieso bist du dir da so sicher? Meine Mutter hat mich seit ihrem achtzehnten Lebensjahr an der Backe. Kann schon verstehen,
dass sie endlich auch mal etwas ohne mich machen möchte.«
»Wenn die beiden überhaupt etwas zusammen kaufen wollen, dann bestimmt nur ein Ferienhaus. Das wäre cool, überleg doch mal,
wir könnten alle zusammen in Italien Urlaub machen.«
»Na klar doch. Mit Götz und womöglich noch mit Hagen.«
Als Trixi den Namen, der ihr seit gestern durch den Kopf ging, auf einmal laut ausgesprochen hörte, spürte sie einen Stich
in der Kehle. Sie wollte Flora von Hagen erzählen. Von dem Zettel. Von ihrer Antwort. Davon, dass Frau Jerger Herrn Gerlinger
morgen treffen würde. Normalerweise hätte sie das getan. Aber Trixi hätte sich wie eine Überläuferin gefühlt, hätte sie Flora
jetzt, wo ihre Beziehung gerade zu Ende gegangen war, davon erzählt. Außerdem war ihr klar, dass Flora von Hagen nicht viel
hielt. Er war der Sohn von Götz und Götz der Freund ihrer Mutter. Das reichte für zehn Minuspunkte. Flora hatte die Freunde
ihrer Mutter immer
Auswechselspieler
genannt. Götz war mittlerweile allerdings ein Stammspieler. Manchmal hatte Trixi den Eindruck, Flora wusste nicht, wie sie
damit umgehen sollte.
»Rutsch mal 'n Stück«, sagte Trixi und setzte sich gegenüber von Flora aufs Fensterbrett. Ihre Fußspitzen stießen aneinander.
»Ich bleib jetzt so langehier sitzen, bis du mindestens einmal eine Millisekunde lächelst.«
Flora vergrub den Kopf zwischen den Knien. Als sie wieder hochsah, fielen die Haare an den Wangen über die Mundwinkel. Flora
lächelte widerstrebend.
14. Kapitel
Zeugenvernehmung von Götz Gerlinger
Zur Person
Name: Gerlinger
Vorname: Götz
Geb. Datum: 31. 5. 67
Beruf: Immobilienvermittler
Wohnort: Pokritz
Adresse: Martin-Agricola-Str. 45
Vernommen im Fall der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil von Flora Duve. (Vernehmung durchgeführt von Polizeianwärter
Masaryk)
Zur Sache
F: Herr Gerlinger, seit wann sind Sie mit Karoline Duve liiert?
A: Im August sind wir ein Jahr zusammen. Wir haben uns letztes Jahr beim Sommerfest einer gemeinsamen Freundin kennengelernt.
F: Sie wohnen bei den Duves?
A: Wohnen ... na ja. Sagen wir mal, ich übernachteab und zu bei Karoline. In letzter Zeit öfter, ja.
F: Haben Sie einen Schlüssel zur Wohnung?
A: Ja. Aber was hat das alles mit dem zu tun, was Flora zugestoßen ist? Sie wurde am See überfallen, nicht in der Wohnung.
F: Wir wollen nur ihr Umfeld noch einmal genau abklären, die Familienverhältnisse. Unternehmen sie oft
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