Traenenengel
der Sache am See umzugehen, dich zu erinnern, irgendwie damit zu leben.«
Flora sah ihre Mutter an, als würde eine Fremde vor ihr stehen. »Wie konntest du das tun? Noch nicht einmal gefragt hast du
mich!« Sie stürmte aus der Küche, in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Frau Duve fuhr sich mit beiden Händen über die Augen.
***
Zeugenvernehmung von Hagen Gerlinger
Zur Person
Name: Gerlinger
Vorname: Hagen
Geb. Datum: 04. 06. 91
Beruf: Auszubildender Einzelhandelskaufmann
Wohnort: Pokritz
Adresse: Martin-Agricola-Str. 45
Vernommen im Fall der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil von Flora Duve. (Vernehmung durchgeführt von Polizeihauptmeister
Sälzer)
Zur Sache
F: Hagen – ist es in Ordnung, wenn ich dich duze?
A: Geht klar.
F: Wie gut kennst du Flora Duve?
A: Fast null.
F: Aber du wohnst mit ihr zusammen, richtig?
A: Falsch. Ich übernachte zweimal die Woche bei den Duves, wenn ich mein Praktikum habe. Das würde ich nicht wohnen nennen.
F: Seit wann übernachtest du zweimal die Woche dort?
A: Seit Anfang Mai.
F: Und dann sitzt ihr nicht abends mal zusammen, esst oder redet?
A: So gut wie nie. Da macht jeder seins und das passt mir auch.
F: Du hast ein eigenes Zimmer?
A: Ich hab ’ne Matratze und ein paar Sachen dort. Mehr nicht. Und Zimmer ... das ist eher ein begehbarer Kleiderschrank. Die Duve-Damen haben dort ihre Winterklamotten gelagert und was sie sonst
gerade nicht brauchen.
F: Trotzdem wirst du Flora in der Wohnung ab und zu über den Weg gelaufen sein. Wie versteht ihr euch?
A: Gar nicht. Ich meine, da gibt es nichts zu verstehen. Wir haben einfach so gut wie nichts miteinander zu tun. Sie macht
ihr Ding, ich meins, das haut hin.
F: Und wie findest du deine Stiefschwester?
A: Erstens ist sie nicht meine Stiefschwester. Dazu müsste mein Vater ihre Mutter heiraten, was er nicht tun wird.
F: Und zweitens?
A: Sie ist nicht mein Fall. Schlägt mir zu viele Wellen, zu hektisch, redet zu viel, lacht zu viel. Nach einem Tag mit ihr
würde mir schwindlig werden.
F: Hast du schon mal einen Tag mit ihr verbracht oder etwas mit ihr unternommen?
A: Nein. Sag ich doch. Wir haben nichts miteinander zu tun.
F: Kennst du Freunde von Flora?
A: Ich weiß, dass sie viel mit Trixi zusammen ist. Ab und zu habe ich auch diesen Typen gesehen. Andro heißt er, glaube ich.
F: Sonst irgendjemand?
A: Nein.
F: Wie ist das Verhältnis von Flora zu deinem Vater?
A: Mein Vater hat mit Karoline ein Verhältnis,nicht mit Flora. Ich glaube, Flora kann ihn nicht besonders leiden. Sie gibt ihm keine Chance und er bettelt nicht darum.
Das fände ich auch peinlich.
F: Kam es deswegen mal zum Streit?
A: Streit ... nee, nicht so richtig. Flora zickt manchmal rum, aber mein Vater steigt nicht darauf ein. Obwohl ich mir gut vorstellen
kann, dass er ihr am liebsten schon manchmal den Kopf zurechtrücken möchte. Aber Flora ist nicht seine Tochter.
F: Kommst du mit Karoline klar?
A: Ich mag sie. Bei ihr ist alles echt. Nicht wie bei Flora.
F: Wie meinst du das?
A: Das ist nur so ein Gefühl ... Wenn Karoline lacht, dann kommt es von ganz tief innen. Bei Flora habe ich immer das Gefühl, es ist einstudiert. Ich finde
sie so ... flach.
F: Oberflächlich?
A: Kann sein.
F: Auch wenn du mit Flora nie viel zu tun gehabt hast – könntest du dir vorstellen, wer ihr das am See angetan hat? Vielleicht
hast du unbewusst etwas aufgeschnappt.
A: Womöglich irgendein Typ, mit dem sie gespielt hat.
F: Hat sie das?
A: Weiß nicht. Würde zu ihr passen.
F: Wo warst du letzten Mittwochabend?
A: Fragen Sie mich jetzt ernsthaft nach einem Alibi?
F: Wo warst du?
A: Ich war in Pokritz. Mein Vater hat mir sein Auto geliehen.
F: Wo warst du genau? Mit wem? Wann?
A: Ich war nirgendwo. Bin einfach rumgefahren. Das mach ich manchmal. Nachts durch die Straßen fahren und Musik hören. Laut.
F: Du bist alleine mit dem Auto herumgefahren. Von wann bis wann?
A: Keine Ahnung. Schätze, ich bin gegen zehn los. Es war auf jeden Fall schon dunkel. Und zurück ... vielleicht so eins, halb zwei rum.
F: Du bist also drei Stunden in Pokritz herumgefahren. Hast du irgendwo angehalten? Hat dich jemand gesehen? Hast du Freunde
getroffen, getankt, etwas gegessen oder mit irgendjemandem gesprochen?
A: Nein. Ich bin durch die Straßen gefahren. Hab Musik gehört. Nachgedacht. Da brauch ich niemanden zum Quatschen. Was ist?
Hab ich jetzt kein
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