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Traenenengel

Traenenengel

Titel: Traenenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Gehm
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Schwerverbrecher, der keine Intelligenzbestie ist«, warf Masaryk ein.
    »...   und zweitens passt es nicht zu seinem früheren Vorgehen. Mal ganz drastisch gesagt: Er hätte Flora Duve vergewaltigen, umbringen
     und in den See werfen können. Nicht, dass das, was ihr zugestoßen ist, nicht schon schlimm genug wäre.«
    »Vielleicht haben ihn die Jahre hinter Gittern verändert.«
    Sälzer sah seinen Praktikanten ungläubig an.
    Masaryk hob abwehrend die Hände. »Alles nur Gedankenspiele. Viel mehr bleibt uns im Moment nicht. Patrick Felber können wir
     ja wohl endgültig abhaken. Das Labor hat übrigens bestätigt, dass sowohl am Liegerad als auch auf den Fotos und dem Filiermesser
     Fischblut war.«
    Sälzer nickte und starrte auf einen feuchten Kreis, den seine Teetasse auf dem Schreibtisch hinterlassen hatte. Er dachte
     zurück an die Szene im Treppenhaus gestern. An Flora Duves ausdrucksloses Marmorgesicht. »Ich frage mich manchmal«, sagte
     er langsam, »ob Flora Duve sich nicht erinnern kann oder nicht erinnern will. Es ist doch seltsam: Als wir gestern nahe dran
     waren, vor ihren Augen einen Unschuldigen zu verhaften, hatte sie auf einmal diese Erinnerungsfetzen.«
    Masaryk machte ein Gesicht wie ein Eichhörnchen. »Sie meinen, sie weiß die ganze Zeit, wer der Täter ist?«
    »Kann sein, sie weiß es genau. Kann sein, sie weiß nur etwas über ihn und ahnt, wer er ist. Kann auchsein, dass ich mich irre und sie sich wirklich an nichts erinnert.«
    »Wenn sie ahnt oder weiß, wer der Täter ist, wieso redet sie nicht mit uns?«
    »Aus Angst. Vielleicht bedroht der Täter sie. Ist noch immer in ihrer Nähe.«
    Masaryk drehte hektisch einen Bleistift zwischen Zeige- und Mittelfinger. »Oder aber sie will ihn schützen.«
    Sälzer runzelte die Stirn. »Schützen?«
    »Sie könnte den Täter gut kennen. Es könnte ein Freund sein, ein Verwandter. Sie will ihn nicht ins Gefängnis bringen, meint,
     es wäre nur ein einmaliger Ausrutscher gewesen. Vielleicht gibt sie sich sogar selbst die Schuld dafür.«
    »Du meinst wie bei vielen Fällen mit häuslicher Gewalt?«
    »Ja, so ähnlich.«
    Sälzer fuhr sich mit der Zunge über die Backenzähne. »Auch möglich. Sogar sehr gut möglich.«
    »Wir sollten uns Floras Umfeld noch mal genauer ansehen. Ihre Mutter, den Freund der Mutter, dessen Sohn, ihre beste Freundin   ...«
    »...   den Großvater, bei dem sie aufgewachsen ist, die Nachbarn, die Lehrer   –« Sälzer hielt mitten in der Aufzählung inne, dachte einen Moment nach, dann schob er den schweren Bürostuhl zurück und ging
     zum Aktenschrank. Da der Raum im Tiefparterre, in dem sonst alle Kriminalaktennachweiseaufbewahrt wurden, gerade renoviert wurde, war ein Großteil der Unterlagen in Sälzers Büro gelandet. Ihm machte der wuchtige
     Aktenschrank hinter seinem Schreibtisch nichts aus. Im Gegenteil, so musste er nicht zwei Treppen nach unten laufen, wenn
     er etwas nachsehen wollte. So wie jetzt. Er zog ein Fach auf und studierte die Reiter an den Mappen.
    In dem Moment klopfte es einmal resolut an der Tür, eine Sekunde später flog sie auf und Herr Heinrich, von dem keiner genau
     wusste, seit wie vielen Jahren er schon als Sekretär auf der Telpener Polizeiwache arbeitete (manch einer sprach auch von
     Jahrhunderten), kam herein.
    »Der Herr Polizeihauptmeister Sälzer, der Herr Polizeianwärter Masaryk.« Er nickte dem Genannten jeweils zu und nahm eine
     stramme Haltung an. »Verzeihen Sie die Störung, aber dieses Faksimile ist eben vorne bei mir angekommen. Ich gehe davon aus,
     dass es bei den Herren auf Interesse stößt.« Mit diesen Worten reichte er Masaryk, der am nächsten zur Tür saß, ein Fax.
    Herr Heinrich stand noch einen Moment im Raum wie ein Hoteljunge, der ein Trinkgeld erwartete.
    »Vielen Dank, Herr Heinrich«, sagte Masaryk.
    »Sehr aufmerksam«, sagte Sälzer.
    Herr Heinrich nickte beiden zu. »Ich bitte die Herren, nicht der Rede wert.« Mit diesen Worten verließ er das Büro und schloss
     hinter sich die Tür.
    »Kommt vom Staatlichen Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt«, sagte Masaryk, den Blick auf das Fax gerichtet. »Ein Spaziergänger
     hat heute Morgen einen toten Hund in der Nähe vom Telpener See gefunden. Und zwar gleich neben dem Feldweg, der vom See nach
     Kraldorf führt. Es war ein Kurzhaarcollie. Er war voller Schnittwunden. Laut Veterinäramtsarzt ist der Hund eines natürlichen
     Todes gestorben, aber er kann nicht mit Sicherheit sagen,

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