Traenenengel
können, dachte ich, es ist wegen unserem Jubiläum. Ich dachte, wir
feiern es, dachte, er hätte eine Überraschung für mich.« Flora stieß einen verächtlichen Ton aus. »Die hatte er dann ja auch.«
Trixi musterte Flora. Ihre Augen waren trüb, aber keine einzige Träne floss über ihre Wangen. Trixi konnte sich nicht daran
erinnern, Flora jemals weinen gesehen zu haben. Sie kannte Flora traurig, wütend, ängstlich oder besorgt. Aber Tränen hatte
sie bei ihr noch nie gesehen. Wo schluckte sie die alle hin?
Flora wandte den Blick vom Fenster und sah zu Trixi. »Er hat Schluss gemacht. Einfach Schluss gemacht. Genau an dem Tag und
der Stelle, wo wir vor fünf Monaten zusammengekommen sind.«
Trixi strich Flora ein paar Strähnen aus dem Gesicht. »Vielleicht ist das so eine verquere Jungenlogik.«
Flora machte eine ablehnende Bewegung mit dem Kopf. »Er hat überhaupt nicht daran gedacht. Er hatte es vergessen. Wie kann
man denn so etwas vergessen?«
Trixi musste daran denken, dass ihr Onkel extraan seinem Geburtstag geheiratet hatte. Offiziell, weil er sich durch die Heirat wie neugeboren fühlte. »Hat er denn auch gesagt,
warum Schluss ist?«
»Lauter unklares Zeug. Er meinte, es geht irgendwie nicht mehr, dass bei ihm etwas fehlt, dass es nichts mit mir zu tun hat
– so ein Schwachsinn. Wie kann das alles nichts mit mir zu tun haben? Ich meine, es geht darum, dass
er
nicht mehr mit
mir
zusammen sein will.«
»Liegt es vielleicht an der Sache am See?«
»Der Streit damals war vollkommen harmlos.«
»Das meine ich nicht.«
Flora sah Trixi abwartend ängstlich an.
»Ich meine, dass er damit nicht klarkommt. Dass er ständig daran denkt, was dir zugestoßen ist, sobald er dich sieht. Dass
er dich nicht mehr berühren kann, dass er ... vielleicht nur noch Mitleid für dich empfindet.«
»Das mit dem Mitleid stimmt«, sagte Flora leise. »Er wusste es schon eine Weile. Wusste, dass es zu Ende geht. Die letzten
Tage war er nur noch mit mir zusammen wegen der Sache am See. Er wollte mich nicht verletzen. Nicht, nach dem ... was an dem Abend passiert ist. Und das ist echt das Übelste: Wenn jemand nur noch mit dir zusammen ist, weil er es nicht
schafft, dir zu sagen, dass Schluss ist. Wie ein schimmliger Apfel, den man wegwerfen müsste, sich aber davor ekelt, ihn anzufassen.«
»Aber dann ist es doch echt besser, dass er es dirgesagt hat. Auch wenn es jetzt ein Scheißzeitpunkt ist, dich alleine zu lassen.«
»Ein Scheißzeitpunkt? Wann ist der nicht?«
Trixi legte beide Arme um Flora und zog sie an sich heran. Flora vergrub den Kopf an Trixis Schulter und schloss die Augen.
Trixi starrte aus dem Fenster. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Wie graue Katzenhaare flogen die ersten leichten Tropfen
ans Fenster. Trixi hatte Flora noch nie ernsthaft wegen eines Jungen trösten müssen. Bisher waren sie alle zu leicht gewesen.
Trixi wusste, dass es bei Andro anders war. Flora hatte sich Andro geöffnet. Vielleicht sogar mehr als Trixi. Sie hatte sich
ihm gezeigt. Von oben bis unten, von außen bis ganz tief innen. Er hatte sie gesehen. Und er hatte sie verlassen.
»Hast du nichts gemerkt? Ich meine, vorher irgendwann«, fragte Trixi leise und gab Flora aus der Umarmung frei.
»Manchmal. Da waren so Momente. Er war gar nicht mehr hier.« Flora starrte einen Augenblick vor sich hin. »Wenn ich gut drauf
war, dachte ich, er ist eben einfach ein verschlossener Typ, weiß nicht, was er sagen soll. Wenn ich schlecht drauf war, machte
mir sein Schweigen Angst. Er war so kühl und ich dachte, ich habe ihn schon verloren, er hat eine andere.«
»Eine andere?«
Flora zuckte mit den Schultern.
Wie bei einem Déjà-vu sah Trixi Andro auf demSchulhof stehen und zur Hoftür blicken. »Wäre das leichter für dich? Wenn nicht du der Grund bist, sondern eine andere?«
»Das wäre noch schlimmer. Dann hat er mich nicht nur verlassen, sondern auch betrogen. Wenn er eine andere hat, gibt es gar
keine Hoffnung mehr.«
»Und die hast du noch?«
»Es kann doch nur eine Phase sein. Weißt du, dass man sich mal kurz trennt, um sich dann wieder zu finden. Dass er mal Abstand
braucht, mal seinen Kram machen muss.«
»Hat er das gesagt?«
»Nein.« Flora holte tief Luft. »Es ist so absurd. Wir waren uns eben noch so nah, haben uns berührt, geküsst, und von einer
Sekunde auf die andere ist es vorbei. Ich darf ihn nicht mehr anfassen. Nicht mehr anrufen. Er gehört nicht mehr
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