Traeum weiter Baby
Niemals waren Himmel und Hölle so dicht beieinander gewesen. In dem Moment wußte ich, daß ich keine Polizei einschalten würde. Ich brauchte keine Gesellschaft, um meinen Traum mit Sascha zu Grabe zu tragen. Es war eine Sache zwischen Sascha und mir.
|232| wish
Als wir auf unserem Bahnsteig ankamen, überfiel mich wieder die Angst.
Was, wenn ich mich hier total übernahm? Wenn Sascha gestern nacht doch jemand gefolgt war? Sascha schien ähnliche Sorgen zu haben, denn er lief ungeduldig hin und her und verlor die Nerven, weil wir seiner Meinung nach zu früh zum Bahnhof gekommen waren.
»Jetzt hängen wir hier rum«, schimpfte er, »für nichts und wieder nichts.«
»Der Zug fährt in ein paar Minuten los.«
Er reagierte nicht. Statt dessen zündete er eine Zigarette an und paffte nervös vor sich hin.
Er kam mit der Situation nicht klar. Was, wenn ich es auch nicht schaffen würde? Noch hatte ich die Chance, meine Haut zu retten. Doch statt davonzurennen, lief ich wie ferngesteuert auf dem Bahnsteig auf und ab und schob den Kinderwagen samt der Panik vor mir her.
Jeder hier konnte uns möglicherweise gleich Handschellen anlegen. Polizisten haben spätestens seit den Straßen von San Francisco dazugelernt und vereiteln ihre Coups nicht mehr, indem sie Uniformen tragen, mit denen sie auffallen wie Clowns auf einer Beerdigung. Ich konzentrierte meine Beobachtung auf die Leute, die keine Uniform trugen. Außer dem Zugpersonal war jeder verdächtig.
Mehrere Männer mit Aktenkoffern standen herum und verständigten sich schreiend über ihre Handys. Sie |233| waren unverdächtig, denn wichtige Informationen über bevorstehende Verhaftungen brüllte man nicht in der Öffentlichkeit herum. Als nächstes hatte ich eine Frau in einem islamischen Wallegewand und vielen Koffern unter Verdacht, die sich mit einem kleinen Jungen unterhielt. Das Kind war vermutlich ihr Alibi. In Wirklichkeit redete sie in ein Walkie-talkie, das unter den Schleiern verborgen war, mit dem Drogendezernat. Zwei Frauen um die Dreißig verabschiedeten sich mit vielen Küssen und Umarmungen. Wegen ihrer Highheels waren sie von der Liste der Verdächtigen gestrichen. Die beiden konnten auf den Dingern kaum gerade stehen, geschweige denn Verbrecher jagen. Als Sascha an ihnen vorbeilief, drehten sie sich nach ihm um und warfen ihm begierige Blick nach. Sie hätten ihn gerne mit nach Hause genommen, das war ihren Gesichtern anzusehen, und möglicherweise hätten sie ihm auch Handschellen angelegt, aber mit Sicherheit nicht, um ihn der Polizei zu übergeben. Sie waren in dem gefährlichen Alter, in dem einen das Ticken der biologischen Uhr so nervös macht, daß man sich mehr Zeit nimmt, ein Paar Schuhe auszusuchen, als einen Mann. Ich wußte genau, was sie durchmachten. Ich war dort gewesen, wo sie jetzt waren, als ich Sascha kennenlernte.
Ein Pfiff ertönte.
Nächste Haltestelle Menopause, Frauen mit Kinderwunsch bitte schnell auf den Zug aufspringen. Und Vorsicht an den Gleisen.
Alles in mir sträubte sich dagegen, in den Zug einzusteigen. Vielleicht sollte ich doch zur Polizei gehen und sie die Drecksarbeit erledigen lassen, für die sie immerhin bezahlt wird.
Aber vielleicht würden sie mir nicht glauben, daß ich unschuldig war. Ich war günstigstenfalls Mitwisserin, es sei denn, meine schauspielerischen Fähigkeiten steigerten |234| sich in der Not zu einer oscarreifen Darstellung. Mein Freund hat mit Drogen zu tun? Das höre ich zum allerersten Mal. Natürlich hatte ich keine Ahnung, daß er etwas im Kinderwagen versteckt hat. Sie fragen, warum meine Fingerabdrücke auf den Tütchen sind?
Selbst wenn ich freikäme, Moritz hätte einen Knacki als Vater. Lebenslänglich.
»Melanie!«
Sascha stand vor der geöffneten Tür des Zuges und winkte mir aufgeregt zu. »Komm schon, oder willst du den Zug verpassen?«
Ich zögerte. Gesetzt den Fall, ich stiege nicht ein, was würde mit Moritz passieren, wenn Sascha verhaftet würde?
»Wo ist Moritz?«
Sascha deutete hinter sich. Der Kinderwagen war schon im Zug.
»Steig endlich ein, verdammt noch mal«, brüllte Sascha.
Ich sprang auf, und der Zug fuhr an.
Moritz war durch den Ruck aufgewacht und schob seine Unterlippe beleidigt nach vorne.
»Hey, mein Schatz, wir fahren nach Hause«, sagte ich und lächelte, als sei das eine gute Nachricht, »Buzz auch. Er freut sich, daß er heute mal nicht fliegen muß.«
Ich ließ Buzz auf Moritz’ Decke landen, und Moritz lächelte.
Im ersten
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