Traeum weiter, Mann
direkt an der Steilküste hinauf zu dem düsteren kleinen Waldstück mit dem Funkmast in der Mitte. Am Anfang des Weges steht ein unübersehbares Schild, das Heiner Deuters sehr zu beeindrucken scheint: Lebensgefahr! Teile des Weges können unterspült sein und abbrechen. Betreten verboten! Die Gemeindeverwaltung.
Gerald reibt sich unternehmungslustig die Hände und lächelt.
»Die Treppe geht vom höchsten Punkt direkt runter zum Strand, da können wir dann zurückgehen.«
In Deuters schreit alles »nein, niemals!«, das ist seinen Augen überdeutlich anzumerken.
»Sag mal, wollen wir uns nicht duzen?«, schlägt Gerald vor und marschiert einfach los.
»Ja«, murmelt Deuters und rennt hinterher, bis er neben ihm ist. Er achtet natürlich penibel darauf, dass Gerald außen an der Abbruchkante geht und er auf der Landseite. Gerald atmet tief ein. Er mag den rauen Wind, der ihm das kräftige Meersalz von der Seite direkt in die Nase weht, aber noch mehr als das genießt er den unglücklichen Gesichtsausdruck von Deuters. Der Schreiberling will wohl demonstrieren, dass er ihm auf Augenhöhe begegnet, das wird ihm nicht gelingen.
»Und Heiner? Wie findest du die Kleine?«, erkundigt er sich schmierig.
Gerald tut so, als sei Steff für ihn ein reines Lustobjekt und nicht mehr, was er mit einem blöden Gelaber von Macho zu Macho abfeiern will.
»Welche Kleine?«, fragt Deuters unsicher zurück.
Gerald weiß, dass ihn seine Wortwahl komplett überfordert: Aus Höflichkeit müsste Deuters darauf eingehen, obwohl er es abscheulich findet, so über Steff zu reden.
»Na, die Braut aus dem Möwenwind , die ihren heißen Hintern eben so fest in deinen Autositz gepresst hat.«
Er vermutet, dass Deuters solche Sprüche hasst wie die Pest. Unter anderem, weil sie das aussprechen, was er mit Sicherheit die ganze Zeit denkt.
»Ach so, die«, antwortet Deuters so beiläufig wie möglich.
Total lächerlich.
»Die hat einen guten Charakter, was?«
Gerald hält seine Hände an seine Brust, um zu demonstrieren, was er meint.
»Hmh.«
Deuters sieht mit seinem unglücklichen Gesichtsausdruck und den hängenden Schultern wie ein Gefangener aus, der gerade in den Knast geführt wird, er hat richtig Angst. Zu recht, ein Schubser von Gerald, und er segelt 30 Meter hinunter und landet auf harten Steinen. Gerald weiß, dass es unsinnig wäre, einen Intellektuellen mit Intellekt zu bekämpfen, da könnte er nicht mithalten, nein, solchen Typen zieht allein die Andeutung von roher Gewalt den Boden unter Füßen weg!
»Ein Paradies hier oben, oder?«
Sie haben den Anfang des Waldstücks erreicht. Der Weg zwischen den dichten Tannen und der Abbruchkante wird noch schmaler als vorher und zwingt sie unmittelbar an den Abgrund. Gerald wechselt schnell die Seite, so dass Deuters sich nun an der Kante wiederfindet. Der verlangsamt das Tempo, um hinter ihm zu bleiben, aber auch Gerald bleibt stehen, um ihm den Weg auf die sichere Seite abzuschneiden.
Deuters schaut unsicher in die Tiefe, in der die Wellen schaumig auslaufen.
Gerald grunzt glücklich auf.
»Die Ostsee wird immer maßlos unterschätzt, dabei ist sie eines der schönsten Meere auf unserem Planeten, oder was meinst du?«
»Ich kenne das Mittelmeer besser«, haspelt Deuters. Auf seinem Gesicht ist ein dünner Schweißfilm zu erkennen, er ist ziemlich außer Atem.
»Wo warst du da denn so?«, erkundigt sich Gerald.
»Mallorca, Griechenland, Zypern, Israel ...«
»Kenne ich alles.«
Plötzlich klingt alles so harmlos wie ein Smalltalk unter Pensionsgästen.
»Und du?«, fragt Deuters.
Doch Gerald hat keine Lust zu antworten, er ist schon einen Schritt weiter.
»Ich würde ja immer noch zu gerne wissen, wie dein Schriftstellername ist«, raunt er Deuters zu und haut ihm kräftig auf die Schulter. »Verrätst du ihn freiwillig?«
Deuters braucht seine gesamte Kraft und Konzentration dafür, dass ihn das Schulterklopfen nicht aus dem Gleichgewicht bringt.
»Kann ich innen gehen?«, stöhnt er.
»Höhenangst?«
»Quatsch!« Deuters lacht gekünstelt. »Das sind doch keine Berge hier!«
»Es ist hoch genug.«
Wie von selbst hat sich bei Gerald ein bedrohlicher Unterton in die Stimme gelegt.
»Ach was.«
»Kein Problem«, bietet Gerald ihm an und tritt zur Seite. »Sag mal, wie heißt du denn nun? Ich sage es auch nicht weiter.«
»Wie gesagt ...« Deuters bricht ab und schweigt.
Gerald lässt nicht locker. »Wie gesagt, was ...?
»Nichts. Es ist alles gut
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