Traeum weiter, Mann
wohin? Als Heiner endlich die nächste Kreuzung erreichte, verzweifelt, ernüchtert, weil er dachte, dass er Steff endgültig verloren hatte, sah er das Straßenschild. Und da war sie ihm wieder eingefallen, die Adresse des Maklers. Ein exzellentes Gedächtnis macht eben einen guten Autoren aus. Er hatte Straße und Ort gestern Abend gelesen, oben, über der Anzeige.
Heiner hatte recht. Schöning war mit Steff zu seinem Haus gefahren. Dieser Angeber! Ein Sprudelbecken mitten im Wohnzimmer! Ein Kamin und ein dicker Teppich vor einem Großbildfernseher! Dachte er wirklich, dass Steff so oberflächlich, so ordinär ist, dass sie sich von so einem Großkotz beeindrucken lässt? Niemals!
Denn nun sitzt sie neben ihm, hier in seinem kleinen Wagen und sieht lächelnd aus dem halb offenen Fenster, während der Wind sanft mit ihren blonden Haaren spielt. Heiner kann sein Glück kaum fassen. Er ist so aufgeregt, dass er seine Finger ins Lenkrad krallt und kein Wort herausbekommt.
»Tolles Wetter, was?«, stößt er plötzlich mit belegter Stimme hervor und ärgert sich im gleichen Moment. Das war nicht die geistreiche Ansprache, die er sich die letzte Nacht zurechtgelegt hat!
Aber Steff ist ganz entspannt. Sie nickt lächelnd. »Was habe ich nur für ein Glück. Zwei Kavaliere an einem Tag. Wenn das so weitergeht, kann ich meine Monatskarte für den Bus zurückgeben.«
Versonnen streicht sie sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und schiebt sie hinter ihr Ohr.
»Aber was ich immer noch nicht so ganz kapiert habe, wieso sind Sie eigentlich auf einmal bei Gerald aufgetaucht?«
Heiner grinst verlegen. Für einen Moment ist er so unkonzentriert, dass er vergisst, einem tiefen Schlagloch auszuweichen. Der ganze Wagen ruckt wie ein hüftkranker Gaul.
»Habe ich doch gesagt: Ich bin einfach so herumgefahren. Und da habe ich dann eben zufällig den Jeep gesehen.«
»Herumgefahren? Hier? Warum sind Sie nicht am Meer geblieben? Da ist es doch viel schöner.«
Heiner räuspert sich. Er merkt, wie ihm der Schweiß den Rücken herunterläuft. Das passiert ihm ständig, wenn er Auto fährt. Er ist kein besonders sicherer Fahrer.
»Das mache ich immer so. Ich schaue mir die Leute an, sehe wie sie wohnen, miteinander reden und arbeiten. Dann habe ich wieder Stoff für neue Geschichten«, sagt er viel zu hastig.
»Wirklich?« Steff blickt zweifelnd auf die abgeernteten Felder, eine verfallene Scheune und die schlammige Straße. »Ausgerechnet hier wollen Sie Ideen für Ihre Bücher finden?«
Heiner nickt heftig. »Gute Geschichten gibt es überall. Man muss nur genau hinschauen.«
Wieder sieht Steff ihn mit großen Augen an. Mit ihren großen grünen Augen. Heiner spürt einen wohligen Schauer im Nacken, fast kommt er von der Straße ab.
Steff zeigt auf einen Bauern, der ihnen mit seinem Trecker auf der Straße entgegenknattert. »Was ist mit dem? Fällt Ihnen zu dem auch etwas ein?«
Heiner blickt unsicher zu ihr.
»Sie haben gesagt, gute Ideen findet man überall«, wiederholt sie. »Na, dann los, jetzt möchte ich aber den Beweis.« Sie meint es tatsächlich ernst, ohne jeden Argwohn oder Häme.
Er räuspert sich. »Ich bin sicher, auch dieser Mann hat eine Geschichte.«
»Aber welche?«, fragt sie und sieht Heiner herausfordernd an.
Was für wundervolle Augen, denkt er wieder. In seinem Kopf fliegt alles durcheinander. Wie soll er da auf Knopfdruck kreativ sein?
»Vielleicht leidet er ja an einer seltenen Krankheit ...«
»Was? Der?! Niemals. Der sah kerngesund aus.«
»Oder seine Frau. Vielleicht ist die ja krank. Und er macht sich jetzt Sorgen, wie es mit ihr weitergehen soll.« Heiner quält sich zu einem Lächeln und öffnet auch sein Fenster etwas. Er braucht frische Luft. Sein Hirn fühlt sich an wie feuchte Watte.
Steff ist in Gedanken immer noch bei dem dicken Bauern. Heiners kreative Auswürfe haben sie offensichtlich nicht überzeugt.
»Vielleicht hat er ja auch Geldprobleme?«, versucht er es noch einmal.
Sie schüttelt den Kopf. »Haben Sie nicht den nagelneuen Trecker gesehen? Das war ganz bestimmt kein armer Mann.«
»Und was, wenn er sich mit dem Kauf des teuren Treckers übernommen hat?«
Wieder überlegt Steff einen Moment.
»Interessant ...«, murmelt sie dann.
Heiner nickt erleichtert. Ein Glück, er hat noch mal die Kurve gekriegt. Letzte Nacht, alleine auf seinem quietschenden Bett, war er in Gedanken schon einmal jedes mögliche Gespräch mit ihr durchgegangen. Literatur,
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