Traeum weiter, Mann
Holz.
»Wirklich so schlimm?«, erkundigt sich der Makler skeptisch.
Heiner nickt nur. Mühsam versucht er, wieder zu Atem zu kommen, als er von unten auf einmal ein Knirschen hört.
»Brauchen Sie Hilfe?«
Das dicke Pärchen, das Heiner eben am Strand gesehen hat. Schwitzend schieben sie ihre schweren Körper die gefährlich schwankende Treppe hinauf.
Heiner will antworten, aber Schöning kommt ihm zuvor. »Er hat nur einen Hexenschuss«, erwidert er in einem Ton, der klarstellt, dass sie keine Hilfe brauchen.
»Tatsächlich?« Der dicke Mann ist als Erster bei Heiner und beugt sich besorgt zu ihm. »Sie Armer! Können Sie sich gar nicht mehr bewegen?«
Heiner versucht es mit einem müden Lächeln und schüttelt den Kopf. Schweiß läuft ihm über die Stirn. Wieso ist er bloß nicht unten am Strand geblieben? Oder zurück ins Hotel gegangen, um weiter an seinem Roman zu schreiben?
Der dicke Mann sieht ihn mitfühlend an. Heiner kann sehen, dass er vom Treppensteigen mindestens so verschwitzt ist wie er. Trotzdem strahlt er eine überraschende Souveränität und Dynamik aus, die ihm Heiner gar nicht zugetraut hätte.
Tatsächlich wendet er sich an Gerald. »Kommen Sie, wir bringen ihn zurück zum Hotel.«
»Aber sehen Sie ihn sich doch an! Er kann ja nicht einmal den kleinen Finger heben.«
Der dicke Mann lächelt unternehmungslustig. »Keine Sorge, das kriegen wir schon hin. Ich bin Arzt.«
Eine Stunde später und nach endlosen Qualen auf dem steinigen Rückweg liegt Heiner alleine in seinem Bett, auf der Seite, die Beine wie ein verängstigtes Kind angezogen. Nur so lassen sich die Schmerzen aushalten. Immerhin: Der dicke Mann hat sich als Doktor der Allgemeinmedizin herausgestellt und ihm bei Frau Schmidt ein paar schnell wirkende Schmerztabletten organisiert.
»In ein, zwei Stunden geht es ihnen schon wieder besser«, hat er gesagt und Heiner dann alleine gelassen.
Schöning hatte sich schon vorher in sein Zimmer verdrückt.
Nachdenklich beobachtet Heiner die leise im Wind wehenden Gardinen und fragt sich, was eigentlich genau auf der Steilküste passiert ist. Wollte dieser widerliche Kerl ihn wirklich die Treppe herunterstoßen? Heiner will es nicht glauben. Aber immer wieder hat er die breite, starre Fratze des Maklers vor Augen, wie er über ihm auf der Stufe stand. Heiner läuft eine Gänsehaut über den Rücken, und das liegt nicht an dem halb offenen Fenster. Dieser Mensch ist ein Monster, ein Killer. Aber warum ist er nur so wütend auf ihn?
Wirklich nur wegen dieser Sache mit Steff?
Gut, er hat sie ihm vor der Nase weggeschnappt. Aber letztlich ohne eigenes Zutun. Hat Heiner sie aus dieser Protzvilla herausgezerrt ? Nein, er war einfach nur da, Steff hatte die freie Wahl. Und sie hat sich für ihn entschieden!
Heiner lächelt, als er sich daran erinnert, wie Steff diesen Schwachkopf neben seinem Sprudelbecken stehen ließ und zu ihm ins Auto stieg. Sie ist ja nicht dumm, denkt Heiner. Sie hat gemerkt, was für ein ordinäres Subjekt dieser Schöning ist. Schaudernd denkt Heiner daran, wie abscheulich der Kerl auf dem Weg zur Steilküste über sie geredet hat. Als wenn sie irgendeine billige Dorfschlampe wäre, die man auf ihre Körbchengröße reduzieren könnte.
Empört ballt Heiner die Fäuste.
Ein schlimmer Fehler.
Die plötzliche Körperspannung jagt einen erneuten Blitz durch seinen Körper, so plötzlich, so heftig, dass Heiner vor Schmerzen laut aufstöhnt. Für einen endlosen Moment ist er wieder wie gelähmt und wagt sich nicht zu rühren. Selbst das Blinzeln mit den Augen scheint grenzenlose Qualen zu verursachen.
Nur ganz langsam entspannt sich sein Rücken wieder.
In den letzten Jahren hatte er immer wieder solche schmerzhaften Attacken. Kommt vom vielen Sitzen, hat ihm sein Hausarzt in Hamburg gesagt. Sie müssen mehr Sport machen, am besten Schwimmen, Radfahren. Vielleicht auch Joggen.
Für eine Weile hatte Heiner sich tatsächlich überlegt, diesen Rat zu befolgen. Sogar einen neuen Trainingsanzug und Joggingschuhe hatte er sich zugelegt. Leider reichte es nur zu einer halben Stunde langsames Traben an der Alster. Anschließend war Heiner so außer Atem, dass er sich direkt hinter dem altehrwürdigen Hamburger Ruderclub in einen Rosenbusch übergeben musste.
Seitdem zieht er den Trainingsanzug und die Schuhe nur für die Gartenarbeit an.
Gejoggt ist er nie wieder. Und für Schwimmen und Radfahren hatte er keine Zeit. Oder keine Lust. Oder beides.
Heiner seufzt
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