Traeum weiter, Mann
Fenster. Steff setzt sich an den Rand des Stuhls vor dem Kleiderschrank.
»Es klingt vielleicht albern, aber meine Mutter mag es nicht, wenn ich bei einem Gast privat auf dem Zimmer bin.«
Für Deuters scheint das nicht zu gelten ...!
Gerald nickt. »Verstehe.«
Er gießt die beiden Gläser voll.
»Ich habe ein Schild an der Rezeption gesehen«, sagt er, »›Vi taler dansk‹. – Sprichst du dänisch?«
»Ich hatte es in der Schule.«
Das weiß Gerald natürlich längst, denn Steffs Mutter hat es ihm erzählt.
»Pass auf, Folgendes, ich habe morgen einen wichtigen Kunden in Kopenhagen, könntest du mich als Dolmetscherin begleiten?«
Jesper Kristensen baut Edel-Hausboote und ist auf der Welt ein gefragter Mann, morgen Abend hat er sich zwei Stunden Zeit für ihn genommen. Gerald hat einen stillgelegten Kanal in Schleswig-Holstein aufgetan, wo er zwölf von den Häusern hinbringen kann, dafür gibt es in diesem Land Kunden en masse!
»Nee, so gut bin ich nicht mehr, das ist zu lange her.«
Dass Kristensen perfekt Englisch und sogar ein bisschen Deutsch spricht, ist ja egal ...
»Es geht im Grunde nur um einen kleinen Smalltalk, das wird gut bezahlt.«
»Nee, leider ...«
Wieso zögert sie noch?
Da gibt es nur eins: den Einsatz erhöhen!
»Der Termin dauert höchstens eine Stunde, du bekommst 400 in bar, ein tolles Hotel und zwei Tage in Kopenhagen.«
Steff bläst die Backen auf. »Wann wäre das denn?«
»Morgen.«
Morgen hat Steff frei, auch das weiß Gerald von ihrer Mutter. Während Deuters in seinem Bett dahinsiecht und den alten Mann mit Hexenschuss gibt ...
»Das würde passen, es ist mein freier Tag«, überlegt sie, dann schaut sie Gerald direkt in die Augen. »Wann geht es los?«
»Also ja?«
»Überredet!«
Steff gibt ihm förmlich die Hand, die Gerald am liebsten nicht wieder loslassen möchte. Ihre Haut fühlt sich phantastisch an.
Gleich nach dem Aufwachen am nächsten Morgen fährt Geralds Adrenalinpegel so hoch wie bei einem Piloten beim Landeanflug. Nach dem Duschen zieht er sich sein neues dunkelgrünes Hemd an, das er lässig über den Bund der schwarzen Wollhose hängen lässt. Darüber kommt ein wetterfestes, ausgebeultes Tweed-Jackett im Stil eines englischen Landlords, inklusive hochschaftiger Stiefel. Ein letzter Blick in den Spiegel, dann nimmt er seinen kleinen Lederrucksack und gibt sich einen Ruck.
Ab jetzt kann alles passieren.
Gerald versucht, sich nicht allzu viel auszumalen, obwohl er weiß, dass dieser Tag sein ganzes Leben verändern kann.
Und dann bekommt er eine SMS, die ihm fast den Atem nimmt: Sein Kunde Jesper Kristensen entschuldigt sich, er hat sich im Termin geirrt, die Firma hat gerade Betriebsferien, er ist auf Ibiza!
Und jetzt?
Geralds Gedanken laufen kreuz und quer durcheinander.
Absagen?
Er könnte Steff einladen, einfach so mit ihm nach Kopenhagen zu fahren, aber das traut er sich nicht. Natürlich wäre es ein Traum! Aber dafür ist es noch zu früh, das könnte zu aufdringlich wirken. Steff weiß nichts von der Absage, ihm wird unterwegs schon etwas einfallen, also erst einmal nach Kopenhagen und dann weitersehen! Mit zittrigen Knien schreitet er über den langen Flur zur Treppe. In Deuters’ Zimmer herrscht Ruhe. Der wird sich wundern, dass seine »Florence Nightingale« heute dienstfrei hat, wenigstens das!
Steff wartet bereits auf ihn mit einem kleinen Rollköfferchen neben der Rezeption. Sie sieht etwas müde aus, aber ihre Augen strahlen ihn so freudig an, dass ihm ganz warm wird. Gerald hat keinen Dresscode empfohlen, den hat sie selber gewählt: dunkelblauer Hosenanzug, eine anthrazitfarbene Bluse, dazu flache Slipper. Sie ist dezent geschminkt, Kajal und Lidschatten.
»Frühstück?«, fragt Steff und gähnt herzlich.
Gerald schaut auf die Uhr.
»Lass uns an Bord frühstücken, ja?«
»Wie Sie befehlen, Boss.« Steff grinst.
»Von wegen Boss – ich bin total abhängig von dir«, haucht Gerald charmant. Der Himmel ist grau und wenig einladend, die Landschaft unter dem grauen Himmel wirkt wie eingefroren. Die Fahrt mit dem Landrover bis nach Puttgarden dauert gerade eine halbe Stunde. Gerald parkt den Wagen am Fähranleger und schlendert mit Steff auf den Terminal zu. Die große schwanenweiße Fähre schiebt sich bereits langsam in den Hafen.
Als er mit Steff an Bord geht, signalisiert ihm etwas tief in seinem Inneren, dass es gut werden wird! Die Fähre ist im Grunde eine schwimmende Shopping-Mall, die vom Bug bis
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