Traeum weiter, Mann
nicht?«
Heiner schweigt und schaut müde hinaus auf die Ostsee, sieht wie die strahlende, aber schon tief stehende Herbstsonne das Wasser in ein Meer aus Diamanten verwandelt.
»Heiner, du hockst hier jeden Tag stundenlang und alles, was du bis jetzt zusammengeschrieben hast, sind drei jämmerliche Seiten?«
»Es gibt auch ein Exposé dazu!«
»Was für ein Exposé?«
»Ich war auf einem Seminar. Kreatives Schreiben. Und da habe ich ein Exposé verfasst. Für den Roman. Die Seminarleiterin war begeistert. Das musst du unbedingt schreiben, hat sie gesagt.«
»Was für ein Seminar denn? An der Volkshochschule?«
Heiner presst die Lippen aufeinander und weicht Schönings spöttischen Blicken verlegen aus.
»Also ja. Na toll. Und wie lang ist so ein Exposé? Fünf Seiten? Zehn?«
»Es war mehr ein Ideenpapier ...«, gibt Heiner leise zu.
»Was soll das heißen? Zwei Seiten nur? Oder eine?!«
»Jetzt hör schon auf!«, ruft Heiner. Seine Stimme klingt gebrochen. »Ja, ich gebe zu, ich bin noch kein Autor. Aber ich wollte es immer sein. Ich hatte keine Lust mehr, in diesem muffigen kleinen Büro in Jenfeld zu sitzen, um Schecks für andere Leute auszufüllen und Quittungen für Producer zu fälschen. Jeden Tag muss ich mir in der Kantine ansehen, wie sich diese elenden Fernseh- und Filmfritzen aufspielen und ihre geilen Finger nicht von den jungen Praktikantinnen lassen können. Und sie haben sogar Erfolg! Nur weil alle sie für so unglaublich kreativ halten! Aber ich bin auch kreativ, ich habe auch Ideen. Deshalb habe ich mir zwei Wochen freigenommen. Deshalb bin ich extra hierher gefahren. Um endlich einmal Ruhe zu haben. Um mein Buch zu schreiben. Mein eigenes Buch!«
Schöning tippt mit dem Finger auf den Rechner. »Welches Buch? Hier drin sind nur drei Seiten?«
»Aber es sind gute drei Seiten! Frag doch Steff!«
Schöning mustert ihn mit einer Mischung aus Spott und Mitleid. Heiner schnauft, er will kein Mitleid, nicht von Schöning.
»Hat sie deine Geschichte schon gelesen?«
»Nein, ich wollte sie ihr erst geben, wenn sie fertig ist.« Heiner seufzt, er weiß, wie lächerlich er sich anhört.
Schöning lässt Heiner nicht aus den Augen und schüttelt vorwurfsvoll den Kopf. Für einen Moment herrscht Stille im Wintergarten. Nur leises Meeresrauschen ist durch die Doppelverglasung des Wintergartens zu hören.
In dem Moment kommt Steff wieder zurück. Irritiert bemerkt sie, dass Schöning bei Heiner am Tisch sitzt.
»Streitest du dich schon wieder mit Heiner? Lass ihn bloß in Ruhe!« Besorgt merkt sie, wie verzweifelt Heiner dreinschaut. »Alles in Ordnung?«
Heiner nickt und sieht nervös zu Schöning.
Der lässt sich nichts anmerken. »Steff, mach dir keine Sorgen, wir haben uns wieder versöhnt. Diese ganze Streiterei war völlig überflüssig. Eigentlich haben wir gerade festgestellt, dass wir ganz dicke Freunde werden können. Stimmt doch, Heiner, oder?«
Schöning klopft Heiner kumpelhaft auf den Rücken. Heiner versucht zu lächeln, aber es fällt ihm sichtlich schwer. Dieser Mistkerl treibt sein Spiel mit ihm, und er muss mitspielen.
Steff blickt zweifelnd zu Schöning und scheint zu überlegen, ob er wirklich die Wahrheit sagt. Dann wendet sie sich wieder an Heiner. Sie seufzt traurig. »Wir müssen später weitermachen. Für heute Abend hat sich eine kleine Reisegesellschaft angekündigt. Ich muss noch ein paar Zimmer vorbereiten.«
Heiner nickt verständnisvoll.
Steff verschwindet Richtung Gästetrakt. Heiner bemerkt, dass Schöning ihr mit einem anzüglichen Lächeln auf den Hintern starrt. Heiner hat im Moment kein Auge für solche Dinge. Erleichtert, dass Schöning noch mal seine Klappe gehalten hat, atmet er aus und nestelt an seinem Hemdkragen.
Schöning sieht ihn nachdenklich an. »Was ist eigentlich mit dieser Geschichte, die du Steff und ihren durchgeknallten Buchfreundinnen vorgelesen hast? Die ist nicht von dir, oder?«
Heiner zögert. Dann gibt er sich einen Ruck, warum noch weiter Theater spielen?
»Die hat die Seminarleiterin geschrieben. Als Beispiel. Um uns zu zeigen, wie ein guter Spannungsbogen funktioniert.«
Schöning grunzt fassungslos: »Mann, Heiner, ich habe dich wirklich unterschätzt. Natürlich war mir klar, dass du vor Steff nur ein Spiel aufziehst. Aber dass du ein so durchtriebener Scheißkerl bist ... Hut ab!«
Heiner schweigt und versucht sich auf den Kompass auf seinem Tisch zu konzentrieren.
»Und was jetzt?«, erkundigt er sich vorsichtig.
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