Traeume doch einfach weiter
Lichtreflexe oder
Schlagschatten, die Tonqualität hätte nicht besser sein können. Serena
erschien aufs Stichwort, stockte nicht im Text, stand immer auf der richtigen
Position, und als Ken diesmal laut »Cut!« schrie, war allen klar, dass sie die
Szene endlich im Kasten hatten.
»Vielleicht
kriegen wir es ja doch noch hin«, flüsterte er Vanessa so laut zu, dass alle es
mitbekamen. »Okay, das war's erst mal, Leute!«, brüllte er dann. »Fünfzehn Minuten
Pause!«
Anschließend
sagte er in normaler Lautstärke zu Vanessa: »Okay, Süße. Jetzt bist du dran.
Lass mal sehen, was du hast.«
Vanessa machte
sich keine Sorgen. Auch wenn alles andere in ihrem Leben schieflief - sie hatte
zum Beispiel keine Ahnung, was auf einmal in Dan gefahren war -, mit der Kamera
konnte sie umgehen.
Ken Mogul schob
seinen Regiestuhl zum Monitor, um sich das Material anzusehen. Vanessas
Assistentin spielte den Film ab und Vanessa setzte sich hinter Ken und spähte
ihm über die Schulter.
Beim ersten Take
hatte Vanessa die Kamera noch frontal auf den Tisch gehalten und auf die
Darsteller gezoomt, um die Nuancen ihres Spiels einzufangen, dabei aber einen
konventionellen Abstand zu ihnen eingehalten. Sie war mit dem Ergebnis nicht
zufrieden gewesen. Die Einstellung hatte hölzern gewirkt - handwerklich okay,
aber leblos und unkreativ. Beim zweiten Take hatte sie sich deshalb für einen
radikal anderen Ansatz entschieden und erst Thaddeus' Lippen in Großaufnahme
gezeigt und die Kamera dann nach oben geschwenkt, um seine Wimpern zu filmen.
Dasselbe hatte sie mit Miranda gemacht und so einen maschinengewehrschnellen
Videoclip-Effekt erzielt, der ziemlich impressionistisch wirkte. Verglichen
mit einer herkömmlichen Kameraführung war das Ergebnis natürlich
gewöhnungsbedürftig, aber eben auch ungleich künstlerischer. Beim dritten Take
war sie dann noch einen Schritt weitergegangen und hatte die Kamera lange auf
die tanzenden Eiswürfel im Glas gehalten. Die perfekte visuelle Umsetzung des
komplexen Beziehungsgeflechts zwischen den drei Hauptdarstellern. Ihre bis dato
beste Arbeit, fand sie.
»Was soll das?«,
fragte Ken Mogul ruhig.
Vanessa sah ihn
an. Sie wusste nicht, wie sie seinen Tonfall interpretieren sollte.
»Ich habe dich
gerade etwas gefragt«, wiederholte Ken und drehte sich zu ihr um. »Was soll die
Scheiße, Vanessa? WAS SOLL DIESE SCHEISSE?«
»Na ja, das ist
meine Kameraführung«, sagte Vanessa stolz, wenn ihre Stimme auch etwas
zitterte.
»Sag mal, willst
du mich verarschen?«, brüllte Ken Mogul. Die in der Nähe herumstehenden
Crewmitglieder verzogen sich in den Hintergrund, aber Vanessa spürte, dass
alle Blicke auf ihr ruhten.
»Vanessa, was
ist das für eine experimentelle Scheiße? Dafür hab ich dich nicht zur
Kamerafrau gemacht!«
Das war genau das, wofür er
sie zur Kamerafrau gemacht hatte! Sogar wortwörtlich. Vanessa starrte ihn nur
stumm an.
»Okay, das
war's. Jetzt reicht es mir. Ich hab eine Schauspielerin, die nicht spielen
kann, ich zerkaue die ganze Zeit Kulis, weil ich an meinem eigenen beschissenen
Set nicht rauchen darf, und jetzt macht mir die kleine Kunstfilm- macherin mit
ihrer kreativen Kacke den ganzen Film kaputt. Das muss ich mir nicht antun. Du
bist gefeuert!« Ken wandte sich von Vanessa ab und lehnte sich in seinem Stuhl
zurück. »Du da«, er deutete auf einen Praktikanten, »sag Thad, Serena und
Miranda, sie sollen wieder ans Set kommen. Dank dieser Scheiße können wir jetzt
alles noch mal filmen.«
Vanessa öffnete
den Mund, um etwas zu antworten, aber es kam kein Ton heraus. Sie war wütend,
verdammt scheißwütend, aber vor allem war sie verletzt. Tränen stiegen ihr in
die Augen, und ihr Hals wurde plötzlich so eng, dass sie husten musste. Sie
schüttelte fassungslos den Kopf. Die Dreharbeiten hatten gerade erst begonnen
und sie hatte schon ihren Job verloren? Erst warf Ruby sie aus der gemeinsamen
Wohnung, dann verwandelte sich Dan in ein buddhistisches Spinnerarschloch und
jetzt auch noch das?
»Vanessa, was
ist los?«, fragte Ken barsch. »Hörst du schlecht? Ich hab gesagt, du kannst
verschwinden. Verzieh dich von meinem Set!«
Vanessa sammelte
hastig ihre Kameraausrüstung zusammen und stürmte auf den Ausgang zu. Sie
hatte die Handlung des ersten Films, den sie an der NYU drehen würde, schon im
Kopf: Ein durchgeknallter Regisseur wird von einem Rudel tollwütiger Kojoten
angefallen und übel verstümmelt und anschließend von einer U-Bahn überfahren.
Mal
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