Traeume ernten
sein Moped am Eingang des Weinguts ab. »Sie haben hervorragend gearbeitet«, sage ich. »Hätten Sie Lust, auch für den Rest der Ernte bei uns zu bleiben?« Zum ersten Mal sehe ich ein vorsichtiges Lächeln über sein Gesicht ziehen. »Oui!« ist alles, was er sagt.
Abends gehe ich in den Weinkeller. Die neuen Neonröhren tauchen die dunklen Flecken im gesprungenen Beton in helles Licht, und ein schwerer Geruch nach gekochten Früchten, nach Brombeermarmelade, hängt in der Luft. Aad hockt vor einem Fass und lässt Traubensaft in einen Messbecher laufen, dann stellt er ein langes Thermometer in die Flüssigkeit, das auch die Dichte des Mosts, des gepressten Safts, misst. Sorgfältig notiert er die Daten in ein Heft voller Weinflecken.
Siebe hat uns aufgetragen, alle Kunststoff-Fässer mit dicken Glasfaser-Matten zu verkleiden, sodass der Weinkeller wie der Brutplatz von dicken, hellgelben Larven mit auÃerirdischen Proportionen wirkt. Ich lasse mich gegen eines dieser Fässer fallen â die Wärme strahlt durch die dicke, weiche Haut hindurch. Aad legt einen kleinen elektrischen Heizofen, den er aus einem der Zimmer auf der oberen Etage geholt hat, unter eines der Fässer. »Dieses hier friert«, sagt er wie ein aufmerksamer Krankenpfleger, der den Patienten mit einer zusätzlichen Decke versorgt. »Siebe möchte, dass sie alle ungefähr 30 Grad haben.«
»Soll ich schon mal die Temperatur bei den anderen Fässern bestimmen?«, frage ich und nehme mir einen Messbecher. »Nein, nein, ich bin fast fertig, lass mich nur machen«, höre ich Aad sagen.
Ich laufe noch ein wenig durch den Weinkeller und gehe dann zurück ins Haus, um das Geschirr abzuwaschen.
Die allerletzten Kisten mit den allerletzten Trauben werden auf das Grundstück gebracht. Michel und Jean-Denis sind oben auf den Anhänger geklettert, die anderen Helfer, ausgenommen der Kaninchenmann, laufen fröhlich hinterher. »On le fait quand, la soulengue?« , fragt Bruno begeistert, während er auf dem Sitz seines Traktors auf und ab wippt.
»Soulengue?« , frage ich. »Das Erntefest!«, sagt er, »wann findet es statt?«
So wenig üblich tägliche Mahlzeiten für die Erntehelfer sind, so normal scheint es zu sein, am Ende der Ernte ein Fest zu feiern, die Soulengue , wie dieses Fest in der charmanten Hochkultur des Languedoc genannt wird, von »se soûler« , sich besaufen.
Ich schlage vor, gleich in der nächsten Woche zu feiern und bei der Gelegenheit alle auszuzahlen.
Siebe erklärt mir, wie ich den Lohn für die Helfer berechnen muss. Natürlich wird nicht nur der ausgehandelte Betrag mal Anzahl der Stunden berechnet, bestimmte Sozialabgaben kommen dazu, andere müssen abgezogen werden. Die endgültigen Beträge, die ich errechne, scheinen stimmig, doch der Gesamtbetrag ist erschreckend hoch. Zum ersten Mal dringt eine beunruhigende Wahrheit zu mir durch: Uns erwarten nicht nur die hohen Anfangskosten, vielleicht ist das Weinmachen insgesamt ein Fass ohne Boden.
Fiene und Marijn sind ganz aufgeregt, als sie von dem Fest hören, besonders seit sie wissen, dass ich allen Helfern vorgeschlagen habe, auch ihre Partner und Kinder mitzubringen.
Im Lager über dem Weinkeller finde ich unseren Karton mit Girlanden aus gelochtem Plastik mit mexikanischen Fiesta-Motiven. Ich stelle eine Leiter an die Esche und befestige die Girlanden an den unteren Ãsten, dann an der Platane und an der hochaufgeschossenen Stechpalme auf der anderen Seite des Gartens. »Ja, Mama, das wird ein schönes Fest!« Fiene klatscht in ihre kleinen Hände und rennt immer wieder um den langen Tisch herum.
»Der Tisch muss noch gröÃer werden!«, sage ich. »Es kommen so viele Leute. Helft ihr mir suchen?« Auf der oberen Etage hebe ich eine alte Tür aus den Angeln. Ich lege sie auf ein paar rostige Ständer, die ich in der Scheune gefunden habe.
»Ein Tischtuch drüber, und man sieht nichts mehr davon!«
Die Mädchen haben sich Schürzen angezogen. Sie stehen auf Schemeln vor dem Herd, um mir zu helfen, Quiches und eine groÃe Lasagne zuzubereiten. Sie schneiden Tomaten für den Salat und rennen mit Tellern und Besteck hin und her. Auf einem niedrigen Tisch neben der Rutsche setzen wir die Wasserbahn zusammen, die aus halben blauen Plastikröhren besteht und in der man kleine Boote treiben lassen kann. Sie
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