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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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der ihn retten wollte, ertrank auch, genauso wie der später hinzugekommene Großvater.
    Worauf haben wir uns hier nur eingelassen?, denke ich.

9
    Ohne Aad, ohne die Erntehelfer, ohne Trauben ist es langweilig auf dem Weingut. Ich sitze stundenlang hinter dem improvisierten Schreibtisch und kämpfe mit dem Papierkram. Laartje hockt wie eine kleine, brummende Zeitbombe auf dem Boden neben mir.
    An diesem Morgen höre ich, wie sich von Weitem ein Auto nähert und eine Tür zugeschlagen wird. Kurz darauf biegt eine Frau um die Ecke. Mit einer theatralischen Bewegung wirft sie sich eine Handtasche über die Schulter und geht auf mein Büro zu, wo sie sich selbstbewusst gegen den Türrahmen fallen lässt und ihre Arme verschränkt. Sie ist mit der Sorgfalt eines Transvestiten gekleidet – eine reichliche Dosis Haarlack hält ihr rotbraunes Haar in Form, unter dem kurzen, engen Rock trägt sie eine auffallend gemusterte Strumpfhose und Schuhe mit sehr hohen Absätzen. Ein spöttisches Lächeln spielt um ihren Mund, während sie kopfschüttelnd auf mich herabblickt. »Tu vois« , sagt sie, » ce n’est pas facile, gérer un domaine – es ist nicht einfach, ein Weingut zu führen.« Verblüfft schaue ich sie an, es dauert ein wenig, bevor es mir dämmert: »Madame Ros!«, sage ich dann. »Et oui« , sie lacht, »du hättest mich nicht wiedererkannt, stimmt’s?« Mit einer koketten Geste richtet sie ihre steife Frisur, kommt dann auf mich zu und gibt mir zwei Dokumente, die ich mir kurz anschaue und mit einem Seufzer auf den Stapel lege. In aller Ruhe betrachtet sie ihr altes Wohnzimmer, beinahe genüsslich nimmt sie alles in sich auf, bevor sie zurück zur Tür geht. Ein kurzes Zögern, dann dreht sie sich noch einmal zu mir um. »Die Zeiten sind vorbei, als ich mich hier noch kaputtgearbeitet habe«, sagt sie, »jetzt ist es an dir. Bon courage .«
    Plötzlich fühle ich mich sehr müde.
    In eine Ecke des Weinkellers habe ich ein kleines Holzlaufrad gestellt, auf das sich Laartje setzen kann, wenn ich Dichte und Temperatur in den Fässern notiere. Jedes Mal, wenn ich zum Fass 14 hinüberblicke, denke ich an Brunos Gesicht, seine verdrehten Augen. Ich werde schmerzlich daran erinnert, was für ein Laie ich bin.
    Noch am selben Nachmittag, als Laartje schläft, google ich daher » formation, vin , Béziers«. Ich stoße dabei auf den Ausbildungsgang Weinanbau/Önologie, lese Wörter wie »Pflanzenkunde«, »Weingartenpflege« und »Weinherstellung«. Das ist es, was ich brauche, denke ich und wähle die Nummer der Landwirtschaftlichen Schule. »Sind Sie sich sicher, dass Sie hier richtig sind?«, fragt die Dame, mit der ich spreche, »das ist eine offizielle Berufsausbildung. Zwei Jahre Vollzeit. Unsere Schüler sind vor allem Söhne von Winzern, Leute, die später wirklich ein Weingut leiten werden. Sie dagegen … kommen Sie eigentlich aus der Europäischen Gemeinschaft?«
    Â»Ich bin Niederländerin«, sage ich und vereinbare noch für dieselbe Woche einen Termin.
    Am Freitagabend parke ich mein Auto im Zentrum von Béziers und klingele an einem großen, alten Gebäude. Es ist nicht die Schule selbst, sondern nur die Stelle, die über die Zulassung der Schüler entscheidet. »Welche Ausbildung haben Sie?«, fragt die müde wirkende Dame mir gegenüber. Sie hat dickes, krauses, dunkelbraunes Haar, einen bleichen Teint und wirkt, als sei sie mit den Aktenstapeln um sie herum verwachsen. Als sie meine Antwort hört, schaut sie mich überrascht an. »Aber wenn Sie eine universitäre Ausbildung haben, wollen Sie doch nicht auf eine Landwirtschaftsschule«, sagt sie.
    Â»Warum nicht?«, frage ich, »wir besitzen ein Weingut, und ich möchte lernen, wie man Wein macht.« Einen Moment lang schaut sie mich verzweifelt an, dann reißt sie sich zusammen. »Das ist eine staatliche Ausbildung«, sagt sie, »wenn Sie die Ausbildung nicht beenden, müssen Sie alle entstandenen Kosten zurückerstatten.«
    Â»Wenn ich etwas anfange, bringe ich es auch zu Ende«, sage ich, ohne mir darüber bewusst zu sein, dass ich gerade eine Entscheidung treffe, die mein weiteres Leben wesentlich bestimmen wird. Die Dame schaut mich ein paar Sekunden lang an, und zum ersten Mal lacht sie. »Bon« , sagt sie dann, » vous semblez

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