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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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Armbewegung jagt er Bruno auf den Traktor, das dumpfe Starten des Motors ist zu hören. So als wären sie Pferde, nichts ist besser als ein ordentlicher Hieb mit der Peitsche.
    Aad bleibt im Weinkeller, ich folge den Erntehelfern zu der Parzelle mit der Grenache Blanc oben an der Auffahrt. »Das bringt nichts!«, sagt Siebe, als er sieht, wie ich mir, genau wie alle anderen, einen Eimer und eine Rebschere nehme.
    Mit ein paar schnellen Handbewegungen verteilt er die acht Pflücker über vier Reihen, immer zwei pro Reihe, und so bleibe ich alleine zurück. Alle beginnen sofort mit der Arbeit, ich höre das leise plumpsende Geräusch, wenn die Trauben in die Eimer fallen. Langsam arbeiten sich die Pflücker zum nächsten Weinstock vor, während ich immer noch an derselben Stelle stehe und nicht weiß, was ich tun soll.
    Â»Siehst du, dass das nichts bringt, man muss zu zweit arbeiten«, sagt Siebe. Ärger steigt in mir auf, und ich lasse mich am Anfang einer Reihe auf die Knie nieder. Mit einer wütenden Bewegung ernte ich meine ersten Trauben. Es ist eine große Rispe, die dunkelgelben Trauben haben einen samtenen Glanz, aber bei allen anderen Rispen an diesem Rebstock sind die Trauben an der Unterseite verklebt und von einer flaumigen Schicht von hellgrauem Schimmel überzogen. Verzweifelt lasse ich sie in den Eimer fallen, eine Wolke weißen Staubs wirbelt über den Rand. Es ist eines der wichtigsten Worte, die ich während dieser Ernte lernen werde: la pourriture , der Schimmel.
    Aus den anderen Reihen höre ich die ersten Pflücker rufen: »Seau, seau!« »Eimer!« Auch wenn sie noch nie an einer Weinlese teilgenommen haben, scheinen doch alle aus derselben kollektiven, auf die Ahnen zurückgehenden Wissensquelle zu schöpfen. Ohne zu zweifeln, folgen sie denselben Pfaden, auf denen bereits ihre Vorfahren gewandelt sind.
    Der Ruf nach einem Eimer spornt Jean-Denis, den zweiten Träger, zu einem athletischen Spurt an. Er dreht sich mit dem Rücken zum Pflücker, der aufstehen muss, um den Eimer in die Kiste von Jean-Denis zu leeren.
    Ich bin jetzt beinahe am Ende der Reihe angekommen, habe die ganze Zeit in einer gebeugten Haltung geschuftet und fühle jetzt einen brennenden Schmerz in meinem unteren Rücken. In der Hocke arbeitet es sich besser, auch wenn dabei allerlei mir bisher unbekannte Blutgefäße abgeklemmt werden. Schließlich lasse ich mich vor jedem Rebstock auf die Knie fallen. Sie sind voller Sand, Dellen und kleiner Steinchen, wenn ich wieder aufstehe. Achtlos fege ich mit der Hand darüber, Knie wie beim Murmelspielen, plötzlich bin ich wieder acht Jahre alt. Anderthalb Stunden später stehen zwei Reihen Kisten voller Trauben auf dem vollen Anhänger, 18 Kisten insgesamt. Bruno rollt mit seiner schwankenden Fracht langsam die Böschung hinunter, man kann problemlos nebenhergehen. Erst fährt er zum Haus, wobei er fast gegen die wackeligen Stützböcke des langen Tischs stößt, um dann rückwärts in den ansteigenden Kiesweg zum Lager oberhalb des Weinkellers einzubiegen.
    Siebe möchte wenigstens vier Leute am Sortiertisch haben, also nehme ich Stéphanie, Frédéric und ein schweigsames Mädchen, das Céline heißt, aus den Weinfeldern mit. Angespannt läuft Siebe um den langsam rückwärtsfahrenden Anhänger herum. »Okay, das geht effizienter! Los, die erste Kiste runterholen! Und auf die Waage!«
    Das Sortieren selbst ist unerwartet einfach. Das Laufband ist ungefähr drei Meter lang, an jeder Seite des Tisches stehen zwei Personen, die die langsam vorbeigleitende Ladung Trauben begutachten. Es ist nicht schwierig, den Unterschied zwischen einer schönen und gesunden Rispe und einer mit weißlichem Schimmel auszumachen, zwischen reifen Rispen und solchen, an denen keine goldgelben, sondern lediglich hellgelbe Trauben hängen. Braune Ohrenkneifer und dunkelbeige Schnecken zeichnen sich als dunkle Flecken auf dem weißen Plastik des Laufbandes ab. Mit einer schnellen Handbewegung holt man sie heraus, wobei man die Ohrenkneifer genau in der Mitte packt, sodass sie mit ihren Zangen hilflos in die Luft kneifen.
    Als fast alle Kisten gewogen und aussortiert sind, hören wir das Geräusch des alten Renault-Traktors wieder anschwellen: Bruno kommt mit einer neuen Ladung. Aad leert jede Kiste langsam auf dem Band aus. Wir stehen bereit – den Blick konzentriert

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