Traeume ernten
stammt aus dem Haarlemer Laden mit dem pädagogisch wertvollen Spielzeug. Das Ding könnte für die französischen Kinder etwas Besonderes sein. SchlieÃlich hole ich auch die Verkleidungskiste nach unten und stelle auch sie neben die Rutsche.
Als Aad am Ende des Tages zurückkommt, sitzen schon die ersten Erntehelfer am Tisch und halten groÃe Limonadengläser mit verdünntem Pastis in den Händen. »Als Aperitif muss es Pastis geben!«, hatte Bruno mir deutlich gemacht, und tatsächlich: Die drei Flaschen Ricard sind ziemlich schnell leer.
Als Gastgeberin versuche ich, mit jedem ins Gespräch zu kommen, was sich als nicht einfach herausstellt. Glücklicherweise sind da die Kinder, über die wir sprechen können, die Qualität der diesjährigen Ernte, die Ernte im Allgemeinen, das Wetter. Wie schon so oft erstaunt es mich, in welch begrenztem Rahmen die Gespräche hier immer wieder verlaufen â stellt sich denn niemand die Frage, wo ich herkomme? Wie es sich anfühlt, von einem Tag auf den anderen auf einem Weingut zu leben?
Ich hole die Platten mit dem Aufschnitt aus dem Haus, dicken Scheiben Käse und Wurst. Alle Speisen, die ich selber nicht mag, schieben sich die Leute als Erstes und reichlich auf die Teller.
Marijn und ihr kleiner Freund Guillaume kommen schüchtern an den Tisch. Marijn in einem kitschigen türkischen Kleidchen, das wir in Amsterdam gekauft haben, Guillaume in einer mit Goldfäden durchwirkten Prinzenweste aus dem Secondhandladen. Die Mütter beteuern ununterbrochen, wie süà sie das finden, und sind froh über den neuen Gesprächsstoff.
Als die Stimmung steigt, bringt Stéphanie verlegen ihre Gitarre zum Vorschein. Schüchtern spielt sie ein paar Takte, an denen man das Niveau ihres Spiels ablesen kann, sie spielt verhalten, aber in bester Absicht. Und das spiegelt sich auch in ihrer zarten, unsicheren Stimme wider â sie singt von der Antwort, mein Freund, »thatâs blowing in the wind« , oder in ihrem Fall »blowieng in se wiend â¦Â« . Ich setze mich dazu, ziehe Fiene auf meinen Schoà und lächle Stéphanie aufmunternd zu, froh über ihren Beitrag zum Fest und voller Bewunderung für ihren Mut. In weiser Voraussicht hat sie die Texte der Lieder, die sie spielen kann, vorher ein paar Mal ausgedruckt. Aad, Frédéric und Michel nehmen sich jeder ein Exemplar und stellen sich hinter sie, die drei tiefen Männerstimmen absorbieren offenbar zuverlässig jede falsche Note. Ich lache Aad zu, und weiÃ, dass ich ihn liebe. Schief grinst er zurück â ich fühle, dass wir den gleichen Gedanken haben: So kurze Zeit sind wir erst hier, schau, was wir schon erreicht haben.
In der Gewissheit, etwas geschafft zu haben, gehe ich in die obere Etage, um vom Fenster aus ein Foto von dem langen Tisch mit den farbigen Girlanden im Vordergrund zu machen. Ich rufe, und wie auf ein Kommando drehen sich alle zu mir um und lachen, der eine oder andere reckt die Faust in die Luft.
Zwei Tage später bin ich wieder alleine. Die Kinder sind in der Schule, Aad hat ein neues Projekt in den Niederlanden angenommen und ist mit dem ersten Flugzeug der Woche zurückgeflogen. So laufe ich mit Laartje auf dem Arm über den Kies vor dem Haus. Der lange Tisch ist abgebaut, all die Menschen sind verschwunden, ich höre ihre Stimmen nicht mehr. Alles wirkt jetzt noch stiller als vor der Ernte.
Glücklicherweise ist da noch der Weinkeller. Jetzt, da Aad und Siebe nicht mehr da sind, bin ich dafür zuständig, die Fermentation zu überwachen. Ich schraube Verbindungsstücke auf die Fässer, zapfe Wein in Messbecher, notiere Zahlenreihen in das rotgefleckte Heft und dokumentiere so den Zuckergehalt im Wein, der immer geringer wird, je weiter die Fermentation fortschreitet. Die abnehmenden Zahlen geben mir einen unerwarteten Halt, es ist der Beweis einer Entwicklung â die Dinge bewegen sich auf ein Ziel zu.
Im Weinkeller stehen zwei flache Fässer, in denen der Wein mit den FüÃen gestampft wird. Beim ersten Mal war Aad mit touristischer Begeisterung in das Fass geklettert, um den sogenannten Tresterhut aus schwimmenden Traubenschalen mit gezielten Tritten unterzutauchen. Auch ich hatte es einige Male versucht, der Kontakt mit der warmen, beinahe lebenden Substanz hatte etwas Sinnliches. Meine Beine waren dunkelrot, als wären sie mit Blut bespritzt, wie bei einem neugeborenen
Weitere Kostenlose Bücher