Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
Vom Netzwerk:
Weinflaschen werden aus Plastik oder aus Aluminium und in verschiedenen Qualitäten gefertigt, und natürlich ist das Teuerste das Schönste. Der Vertreter zeigt mir verschiedene Farben, viel Bordeauxrot, Schwarz und Gold. Ich stelle mir aber ein dunkles Violett vor, das nichts mit den Farben zu tun hat, die er mir präsentiert. »Theoretisch lässt sich natürlich alles machen«, seufzt der Vertreter, »aber ich habe doch schon so eine große Auswahl. Hier, schauen Sie sich die Muster noch einmal an.«
    Ich schenke dem Mann einen Kaffee ein, renne auf den Speicher und wühle in ein paar Bücherkartons. Glücklicherweise finde ich bereits im zweiten Karton das Buch über Bildende Kunst mit dem tief violetten Umschlag. »Das meine ich!«, sage ich, als ich keuchend zurückkomme.
    Er nimmt das Buch, schaut mich mit demselben müden Ausdruck an, den ich von Samper kenne. Wieder jemand, dessen Leben ich komplizierter mache. »Dafür muss ich spezielle Pigmente bestellen, das wird ein wenig dauern«, sagt er unglücklich.
    Â»Das macht gar nichts«, sage ich, »ich freue mich, dass es überhaupt möglich ist!«
    Siebe wirkt in der letzten Zeit immer unzufriedener. Er führt lange Gespräche mit Aad über die Bezahlung und das Verhältnis der Anteile am Weingut. Gleichzeitig scheint er wenig begeistert davon zu sein, dass ich mich von der freundlichen Hausfrau in jemanden verwandelt habe, der lästige Fragen über Schnittmethoden und Unterstöcke stellt.
    An einem Samstagnachmittag erhält Aad einen kurzen Anruf von Siebe. Dieser teilt mit, dass er »keine Lust mehr hat«. »Aber du hilfst uns doch noch beim Abfüllen?«, fragt Aad. Die Antwort lautet »nein«, keine Lust bedeutet: keine Lust. Kurz regt Aad sich darüber auf, dann lässt er sich aufs Sofa fallen, und ich sehe eine Verzweiflung in seinem Blick, die ich nicht kenne. »Wie sollen wir das nur schaffen?«, seufzt er.
    Es ist nicht schwer, den vollen Umfang der Katastrophe zu erfassen. Wir haben ungefähr 40 000 Weinstöcke, und jeder einzelne wächst und muss aufgebunden werden oder eben nicht, Krankheiten können ihn befallen, Insekten können ihn auffressen, er kann sogar absterben. Keine Ahnung, wie wir das alles verhindern sollen.
    Â»Hätten wir doch nur einen erfahrenen Angestellten«, sage ich zu Aad, »so einen Winzer in der fünften Generation, der von Geburt an bereits alles weiß.« Stattdessen haben wir Bruno, unseren Ex-Randgruppenjugendlichen, dem in seiner Unbekümmertheit auch schon mal der Traktor umgekippt ist und der auch ansonsten die schönen neuen Geräte systematisch kaputt macht. Bruno arbeitet wie ein freundlicher Dieselmotor, schickt man ihn in eine bestimmte Richtung, fährt er los, so lange bis man ihm sagt, dass er wieder anhalten soll. Er ist nicht der Mann mit Weitblick, nicht derjenige, der Entscheidungen treffen kann, und ich frage mich, wo wir so jemanden finden könnten. Die Antwort, die mir einfällt, schiebe ich erschrocken beiseite. Ich habe doch gerade erst mit der Schule angefangen, denke ich.
    Â»Ich wünschte, du könntest hierbleiben«, sage ich an diesem Abend zu Aad. Wir sitzen im Ferienhaus auf dem Sofa, in einer Ecke stehen die Kartons mit den Unterlagen, Legosteine liegen im Zimmer verstreut. »Vorläufig brauchen wir das Geld noch«, sagt Aad, »so ist es eben.«
    Ich nicke, schenke uns noch ein Glas ein. »Vielleicht ist es ja gut so, dass ich hier die Leitung übernehmen muss«, sage ich. »Natürlich ist es eigentlich zu früh, aber zumindest sparen wir so Geld, dann kannst du früher aufhören, in der Agentur zu arbeiten.« Aad stimmt mir zu. Ja, so wird es wohl sein, noch kurz durchhalten, und dann wird alles gut. Zusammen glauben wir an die Verlässlichkeit der Dinge, an die Unsinkbarkeit des Schiffes.
    Am Montagmorgen bin ich noch vor Schulbeginn auf den Weinfeldern. Gemeinsam mit Bruno gehe ich durch ein Meer aus hellgrünen Blättern – Seitentriebe des Weins ragen weit hinaus und haken sich an den Ranken auf der gegenüberliegenden Seite fest. Ich denke an Regenwälder, Entdeckungsreisende in weißen Tropenanzügen, das Wort »Machete«. »Das läuft hier total aus dem Ruder«, sage ich, »es dauert nicht mehr lange, und wir kommen hier nicht mehr durch.«
    Â»Bof, ça ne risque rien …« , sagt

Weitere Kostenlose Bücher