Traeume ernten
ins Haus, wo wir den Wein vom vorigen Jahr probieren. »Was an dem Wein finden Sie gelungen?«, fragt er, »was wollen Sie verbessern?«
Mir fällt auf, dass mir diese Fragen zum ersten Mal gestellt werden â unsicher probiere ich den Wein noch einmal. »Ãhm, ich finde, dass er schön fruchtig ist, und er hat eine gute Konzentration«, sage ich »aber, ähm, ich hätte ihn gern ein wenig frischer, weniger schwer.« Ich vermute, dass es für diese Eindrücke technischere Begriffe gibt.
Xavier blättert in den Unterlagen vom Vorjahr.
»Vielleicht sollten Sie versuchen, die Temperatur nicht zu stark steigen zu lassen«, sagt er ruhig und nachdenklich. Als er weggeht, lässt er mir einen Stapel Broschüren da, in denen die verschiedenen Stadien der Weinherstellung erläutert werden. Ich blättere alle durch, vergleiche sie mit dem, was ich auf der Schule gelernt habe, und stelle fest, dass ich das Gelesene tatsächlich begreife.
Diesmal darf ich bestimmen, wann die Trauben reif sind. Jeden Morgen gehe ich durch die Weinfelder, ich fühle, ich schmecke, stecke die berühmten 200 Trauben in eine abgeschnittene Wasserflasche. Zwei Mal in der Woche holt Xavier Billet sie ab. Aufmerksam studiere ich die Aufstellungen, die er mir anschlieÃend faxt. Ich verstehe nicht alles, aber erleichtert stelle ich fest, dass er jedes Mal in seiner sauberen Handschrift Anmerkungen unten auf die Seite setzt â jeden Tag lerne ich etwas Neues.
Auf einmal ist es so weit â die Erntehelfer sind angekommen. Ich stehe mit Thomas im Weinkeller, einem jungen Mann aus meiner Klasse, der im letzten Jahr ein Praktikum bei dem Weinhersteller Domergue gemacht hat und daher ganz sicher mehr weià als ich. Der Keller ist blitzblank. Ich bin in alle Betonfässer geklettert und habe die Wände mit verdünnter Zitronensäure versiegelt, es riecht frisch und sauber, und alles ist bereit für die neuen Trauben. Wir mussten ein wenig herumprobieren, um alle Maschinen richtig aufzustellen: erst den Sortiertisch, dann das Transportband, die Maschine zum Entstielen der Trauben, und ⦠oh ja, die Pumpe gehört auch noch dazwischen. Und der dicke rote Schlauch, wie schlieÃen wir den jetzt an? Jedenfalls steht jetzt alles auf seinem Platz und glänzt sanft im Morgenlicht. Ich genieÃe das erhabene Gefühl, bis ich das anschwellende Grollen höre. Eine Ladung Trauben wird gebracht! Plötzlich gleiten sie in groÃen Mengen vor mir über den Sortiertisch. Ich betrachte sie, probiere sie, sie sind um so vieles gesünder als im letzten Jahr.
Ich blicke ihnen nach, als sie über das Band nach oben gleiten und dann entstielt werden, alles scheint gut zu gehen. Doch dann: Peng! Irgendwo im Hintergrund fällt etwas Schweres auf den Boden. »La pompe! La pompe!« , schreit Thomas. Ich renne in den Weinkeller und habe innerhalb von Sekunden die Pumpe abgestellt. Mit einer letzten pulsierenden Bewegung spuckt sie noch ein paar Trauben auf den Boden. »Wir haben den Schlauch nicht festgemacht!«, konstatiere ich.
Ich gehe in den Schuppen neben dem Weinkeller â in einem Haufen Müll finde ich ein Stück Elektrokabel, mit dem ich auf die Presse klettere. Zusammen mit Thomas wuchte ich den bleischweren Schlauch nach oben. Wir drücken ihn, so gut es geht, in die Ãffnung, dann befestige ich ihn mit einer festen Schlaufe. Noch während wir die letzten Trauben wegschaufeln, hören wir wieder das anschwellende Brummen. Eine neue Ladung.
Ich nehme meine Rechenmaschine: Eine kleine Menge Schwefeldioxid muss den Trauben hinzugefügt werden. Ich rechne noch einmal nach, ob die Menge richtig ist, die ich abgemessen habe, ich will auf keinen Fall zu viel nehmen. Dann gehe ich zu der groÃen Gasflasche mit dem Kohlendioxid und pumpe noch etwas davon in die Presse und in den Behälter darunter. Die gröÃte Gefahr bei WeiÃwein ist, dass er oxydiert. Dadurch wird er braun, das Aroma flach. Wie oft habe ich WeiÃweine mit einer braunen Färbung probiert, ohne jede Frische. Schwefeldioxid schützt den Wein vor dem Oxydieren. Der weiÃe Grenache ist in dieser Hinsicht noch anfälliger als andere Rebsorten. Beinahe manisch beobachte ich die Trauben. Den gesamten Saft, der aus der Presse kommt, pumpe ich direkt in ein gekühltes Fass, in dem eine dicke Schicht Gas liegt. So sollte es funktionieren.
Als die Ladung verarbeitet ist, gehe
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