Traeume ernten
ich nach drauÃen, um die Temperatur der Kühlmaschine zu kontrollieren. Ich sehe, dass der kleine Kontrollschirm schwarz ist â ich stelle den Apparat an, wieder aus, nichts passiert. Ich rufe Thomas dazu, der es auch nicht versteht. »Oh merde!« , rufe ich â wieder einmal zerplatzt die Illusion von einer Chefin, die genau weiÃ, was sie zu tun hat.
Was jetzt, was jetzt?, denke ich, während ich wahllos auf die Knöpfe drücke und nervös vor dem Apparat hin und her laufe. Wenn wir nicht kühlen, misslingt der Wein schon jetzt â ich bin eine Anfängerin, die Dinge funktionieren nur, wenn ich mich genau an die Anweisungen halte. Auf dem Apparat steht eine Telefonnummer, die ich kurzatmig anrufe. Im Hintergrund wird eine neue Ladung Trauben aufs Grundstück gefahren. Das Geräusch schwillt an, angespannt drücke ich das Telefon gegen mein Ohr. Ich begreife kein Wort von den Anweisungen, die in einem schweren südlichen Akzent aus dem Hörer quellen. Ich beginne zu hyperventilieren. »Gut, gut, ich komme schon«, höre ich schlieÃlich die Stimme aus dem Telefon sagen.
»Ich habe zwei Sicherungen ausgetauscht«, sagt ein schwitzender dicker Mann fast eine Stunde später, »aber der Apparat ist nicht mehr richtig eingestellt. Haben Sie ein wenig zu oft auf die Knöpfe gedrückt?« Ich lache nur und konzentriere mich auf mein Notizbuch, in dem ich Schritt für Schritt alles festhalte, was er macht â das passiert mir nicht noch einmal. Im Hintergrund erklingt das Geräusch eines lauter werdenden Motors â noch mehr Trauben. Zeit, zum Sortiertisch zurückzukehren.
Zufrieden beobachte ich am nächsten Tag, wie das Sonnenlicht durch die Kunststoffwände des hohen Fasses scheint, wie winzige Wassertropfen sich auf dem Kühlelement aus Edelstahl bilden. Ich nehme einen Messbecher â die Temperatur ist genau richtig, noch einen Tag, und wir können den Wein zum ersten Mal in ein anderes Fass hinüberpumpen, sodass die festen Teile im ersten Fass zurückbleiben. Danach werde ich die Temperatur erhöhen, und die Fermentierung kann beginnen. Alles verläuft nach Plan, ich fange sogar an, es zu genieÃen.
Am Abend kommt Aad nach Hause. Als er mit groÃen Schritten auf den Weinkeller zuläuft, sehe ich, wie die Erntehelfer begeistert zu ihm aufschauen. Gott sei Dank, sehe ich sie denken, der richtige Chef ist wieder da. Noch bevor ich mich freuen kann, dass Aad zurück ist, hat er schon seinen ersten Befehl erteilt: »Behältst du die Temperatur für den WeiÃen auch im Auge?«, fragt er, während ich mich mit zwei anderen Leuten unterhalte. Bruno geht auf ihn zu: »Lidewij möchte, dass ich den Rosé in Fass vier hinüberpumpe, ist das in Ordnung?« »Natürlich«, antwortet Aad und nickt.
Ich betrachte den groÃen Mann aus der Entfernung, stelle mir vor, wie ich in einem hungrigen Abflussloch verschwinde. Warum bin ich eigentlich noch hier? Aad kann ja auch nichts dafür, dass jeder ihn für den Chef hält, versuche ich zu denken, er hat auch Freude daran, Wein zu machen. Es gelingt mir wieder nicht, die groÃzügige Ehefrau zu spielen, die bei seiner Ankunft lächelnd einen Schritt zur Seite tritt. Ich fühle, wie ich wütend werde, lasse mich dann aber wieder mitreiÃen von unserem alten Konkurrenzstreit.
Das Haus auf dem Weingut ist fertiggestellt. Wir ziehen um, auch wenn vor der Tür immer noch der Betonmischer steht, Bretter herumliegen, Männer mit ihren matschigen Schuhen über das Spielzeug der Mädchen laufen. Ãberall ist Staub. Der hellbeige Boden aus Parefeuilles-Fliesen geht hinter der Eingangstür in Sandberge und eine Fläche voller Unkraut über, das in aller Ruhe auf seine Chance wartet, das Haus in Besitz zu nehmen. Das erinnert mich an eine Ausstellung, die ich einmal besucht habe â Bilder und Lithographien illustrierten die Idealvorstellungen der Landschaftsarchitektur, die sich mit den Jahren immer wieder veränderten. Genau wie jeder andere Zeitgenosse hatte ich die kerzengeraden, geometrischen Gärten des 18. Jahrhunderts als zwanghaft und unnatürlich empfunden. Jetzt verstehe ich die Menschen jener Zeit plötzlich sehr gut. Sie waren von Gestrüpp umgeben, das sich ihnen allmählich näherte. Deshalb waren sie glücklich, wenn sie auf geharkte Plätze und auf zu Obelisken gezwungene Buchsbaumhecken
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