Traeume ernten
dunkelblondes Haar hängt ihm in Strähnen ins Gesicht. Mit groÃen Schritten und ausgebreiteten Armen eilt er auf uns zu. »Non! Non! Arrrête!!!« , kreischt er.
Okay, er mag kein Niederländisch. »Würden Sie bitte nicht so schreien«, sagt Simone ruhig in unserer Muttersprache, »Sie erschrecken die Kinder.« Er steht jetzt dicht vor uns und keucht. »Câest hollandais ça, câest hollandais!!«
Ich übernehme. »Quand même« , sage ich. » Calmez-vous. Wir sind Niederländer, wir können doch miteinander sprechen, wie wir wollen. Aber wir werden mit Ihnen Französisch sprechen, kein Problem. Beruhigen Sie sich doch.«
Er wird tatsächlich ein wenig ruhiger und geht dann kopfschüttelnd zurück in sein Häuschen.
Abends grübele ich darüber, wie nahe er wohnt. Jetzt kennt er mich. Wird er da nicht neugierig werden und herausbekommen wollen, wo ich wohne? Wird er in einem unerwarteten Moment vor der Tür stehen? Ich erinnere mich daran, dass man die Fenster auf der unteren Etage ohne Schwierigkeiten aufdrücken kann.
Auf einmal hätte ich gerne einen Hund.
Also gehe ich an diesem Wochenende mit den Mädchen zu der Hundepension, die zwischen den Weinfeldern nicht weit vom Dorf liegt. Wir wollen einen Beauçeron, einen dieser groÃen Hunde, die â so habe ich gelesen â sowohl wachsam als auch sehr freundlich zu Kindern sind. Der Mann, dem die Pension gehört, züchtet Beauçerons, überall laufen sie herum, auf hohen Beinen, stolz und elegant. Die Mädchen hocken bereits auf dem Boden, um ein paar der jungen Hunde zu streicheln. Wir müssten nur einen Scheck ausstellen, und schon könnten wir einen von ihnen mit nach Hause nehmen. Stattdessen sehe ich Nina. Sie sitzt in einem kahlen Betonverschlag, ist schwarz, ziemlich groà und hat borstige Haare auf der Schnauze. Ich bemerke ihre schönen braunen Augen. Der Züchter stellt sich neben mich. »Ach, die«, sagt er. »Ich habe versucht, sie zum Trüffelhund auszubilden, aber sie ist nicht dafür geeignet.«
Er schaut mich von der Seite an, ein unzufriedener kleiner Mann mit dünnem schwarzem Haar. Dann sieht er meinen Blick, riecht fette Beute, wo er sie nicht vermutet hatte â erschrocken verbessert er sich. »Mais ⦠elle vous intéresse?« , fragt er. Ich schaue Nina noch einmal an und sage: »Peut-être.«
Er holt den Hund aus seinem Verschlag. Die Mädchen kommen angerannt und breiten eine Decke aus Kinderliebe über den überraschten Hund. Ja, Nina ist sympathisch, denke ich und betrachte aus den Augenwinkeln den kleinen Mann, der beinahe anfängt zu sabbern, so gierig ist er. »Ein Trüffelhund ist wertvoll«, sagt er, »manche kosten 10 000 Euro. Sie sind wirklich sehr wertvoll.«
SchlieÃlich nehmen wir Nina mit und bezahlen, was die Impfungen und das Futter der vergangenen Zeit gekostet haben, und ein kleines Extra für den lieben Mann gibt es auch noch. Zwei Jahre ist Nina alt, eine Kreuzung aus einem Labrador und einem Griffon.
Ich hatte richtig vermutet. Als ich an einem dunklen Nachmittag alleine im Büro arbeite, klopft jemand ans Fenster. Nina erwacht neben mir. Ungehalten blickt sie auf. Sie ist völlig ungeeignet als Wachhund, auf Wanderungen folgt sie mir unterwürfig in zehn Metern Abstand. Wenn ich in Gegenwart anderer Menschen auf sie zeige, schreckt sie zusammen. Schon öfter stand ich kurz davor, sie zurückzubringen, ich kann Unterwürfigkeit nicht ertragen. Aber es ist nicht schwer zu erraten, dass sie geschlagen wurde, also gebe ich ihr Zeit.
Jetzt steht der Grund für die Anschaffung dieses Hundes vor meinem Fenster und klopft, und ich bin die Einzige, die sich in Bewegung setzt. Manchmal ist es hilfreich, keine Wahl zu haben, ich kann nichts anderes tun, als die Tür zu öffnen.
»Bonjour« , sage ich zu dem groÃen Mann im Ski-Anzug, »comment allez-vous?«
»Ich friere!« Er kommt direkt zur Sache. »Kann ich nicht im Château schlafen?« »Im Château?«, frage ich.
»Oui, chez vous« , sagt er, »Sie haben so viele Zimmer, so viel Platz. Gibt es nicht einen Ort, wo ich bleiben kann?« Ich denke nach. Es stimmt, es wird heute Nacht wieder frieren. Er schläft in seinem Häuschen auf dem Boden, und ich habe ein gut geheiztes Haus. Theoretisch müsste ich ihm helfen, aber ich möchte nicht. Etwas an
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