Traeume ernten
ungefähr 10 000 Hektoliter«, antwortet er trocken â nicht zu vergleichen mit Weingütern im Languedoc. »Das sind sie!«, wie nebenbei zeigt er auf die Weinfässer. Er möchte sie verkaufen, da sie für ihn zu klein sind, für mich sind sie perfekt.
Am nächsten Tag bin ich mit Bruno und einem Anhänger zurück auf La Madeline . Mit offenem Mund berührt Bruno die Arme des Reben-Vorschneiders auf dem Innenhof. »Das kann doch nicht gut gehen â¦Â«, murmelt er, »das geht doch nicht.«
Als die Fässer auf dem Anhänger festgezurrt sind, kommt er zu mir. »Darf ich die maschinell geschnittenen Rebstöcke sehen? Bitte?« Er zieht ein flehendes Gesichtchen, das seine Mutter vor 20 Jahren vielleicht in Ekstase versetzt hat, bei mir aber vor allem die Phantasie heraufbeschwört, ihn zu hauen. Fehlt nur, dass er sich an meinen Ãrmel hängt. »Okay«, sage ich dann doch, »steig ein.«
Schon auf einem der ersten Weinfelder erkenne ich am Bewässerungssystem, dass es sich um ein Feld von La Madeline handeln muss. Ich stelle das Auto am Weg ab, und Bruno ist â wahrscheinlich zum allerersten Mal, seit ich ihn kenne â schneller als ich.
»Hab ichâs mir doch gedacht!«, ruft er schon beim ersten Weinstock, »ils massacrent la vigne!« Jetzt schaue auch ich mir die Rebstöcke aus der Nähe an, er hat recht: Es ist, als habe jemand mit verbundenen Augen geschnitten. Die Weinstöcke sehen aus wie Igel, wild stehen dünne Zweige zu allen Seiten ab, ein durchdachter Rebschnitt sieht anders aus. Bei den ersten Rebstöcken sind oft Teile der Arme weggeschnitten, und man sieht das weiÃe, nackte Holz durch den Bast hindurchschimmern. Das ist kein schöner Anblick. Es ist eine völlig andere Arbeitsweise. Ich vertrödele meine Zeit in schönen Weingärten, hier wird Geld verdient. Keine hohen Lohnkosten für den Rebschnitt, maschinelle Ernte, und schon ist der Gewinn doppelt so hoch. Und dann sind diese Weine auch noch teurer als meine. Ich verbanne das schockierende Ergebnis der Rechnung, die in meinem Kopf abläuft, und folge Bruno, der mit wütenden Schritten und kopfschüttelnd zum Auto zurückgeht. Ich schaue zurück zum Weingut, bereue es jetzt, dass ich nicht ein Weinfeld zur Besichtigung ausgewählt habe, das weiter von den Bürogebäuden entfernt liegt.
Um auch etwas davon zu haben, wenn Angestellter und Chefin gemeinsam unterwegs sind, entscheide ich mich auf dem Rückweg für die kleinen Wege bei Puisserguier, um noch andere Weingärten anzuschauen. Die Sonne ist inzwischen aufgegangen und verjagt den letzten Morgennebel. Im Hintergrund sehe ich die Umrisse eines Dörfchens auf einem Hügel, ansonsten deutet nichts auf die Anwesenheit von Menschen hin, nur die Weingärten, durch die ich quälend langsam fahre, um Bruno die Chance zu geben, seiner Ãberlegenheit Ausdruck zu verleihen. »Sehen Sie sich das doch mal an! Der kann sich doch nicht Winzer schimpfen!« Er zeigt nach links, auf ein trauriges Weinfeld: Wirklich jeder Rebstock ragt in einer anderen, völlig willkürlichen Höhe auf.
»Oder da, links!« Er deutet auf eine Parzelle voller schief hängender Rebstöcke. Wir sehen schlappe Spaliere und viele eilig geschnittene Weingärten â selbst vom Auto aus sind die Fehler leicht zu erkennen. SchlieÃlich fahren wir den Weg zu Mas des Dames hinauf. Bruno wirft einen sehr langen Blick auf das groÃe Feld mit dem Syrah, seinen Lieblingsweingarten, und sagt dann, mit einem Seufzer aus den Tiefen seines groÃen Körpers: »Uff!«
Im Büro mache ich, zum ersten Mal seit meiner Studentenzeit, eine detaillierte Aufstellung meiner Ausgaben. Zwar habe ich das Gefühl, sparsam zu sein, aber ein vorsichtiger Blick auf mein Konto sagt mir, dass mir das Geld durch die Finger rinnt. Eine schöne Jacke für Laartje, ein Kleid für mich, ein Salat am Strand, der winzig, aber teuer ist. Vor allem das Haus ist ein Kostenfaktor â sogar, wenn ich es nur mäÃig heize, wird das Geld nur so zum Schornstein hinausgeblasen. Jeder Briefumschlag birgt eine neue Ãberraschung: ah, Grundbesitzabgaben â hey, so hohe Telefonkosten?
Aad verspricht, den Kindern einen guten Unterhalt zu zahlen, den Rest muss ich mit dem Wein verdienen. Genau da liegt das Problem. Auf der Messe von »Okhuysen« hatte ich lange mit einem Winzer aus dem
Weitere Kostenlose Bücher