Traeume ernten
aber langsamen Französisch unterhält. Wenn er mich mit den Mädchen sieht, kommt er lachend auf uns zu. »Geht schon mal nach oben, Mädels«, sagt er, »ich glaube, Oma hat einen Apfelkuchen gebacken!«
Ich lasse die Mädchen bei Simone und fahre alleine und von allem befreit zum Bahnhof von Béziers, wo ich in den TGV nach Paris steige. Ich lehne mich gegen das kühle Fenster und schaue in das weite, hügelige Land hinaus, das ich inzwischen als meines betrachte. Die Gegend wird flacher, es gibt keine Felsen mehr, ich entferne mich vom Süden, entferne mich von dem Ort, an dem alle Entscheidungen getroffen wurden. Ich weiÃ, dass eine Phase meines Lebens abgeschlossen ist, und ich weià nicht, was vor mir liegt.
Vom Gare de Lyon aus nehme ich die Metro zum Gare du Nord, wo ich bei einem Kaffee aus einem Pappbecher warte, bis Miriam und Annemiek auf mich zukommen. Fast 20 Jahre sind wir jetzt schon befreundet. Sie kannten mich schon, bevor ich mit Aad zusammen war, und jetzt sind sie immer noch da. Wir mieten ein Dachzimmer in der Nähe der Sorbonne, wo wir auf unseren Betten liegen und bis tief in die Nacht miteinander reden. Wir frühstücken zwischen Gastdozenten der Universität, essen ausführlich im »Marais« zu Abend, besuchen eine Lee Miller-Ausstellung in der »Galerie nationale du Jeu de Paume«. Annemiek findet ihre perfekte apfelgrüne Vintage-Tasche.
Auf den Treppen vor Sacré-CÅur sprechen wir über meine Beziehung zu Aad, über die Entscheidungen, die ich in der letzten Zeit getroffen habe. »Eigentlich bist du schon sechs Jahre alleine«, sagt Miriam, »was hättest du anderes tun sollen?« Als wir später bei einer Flasche WeiÃburgunder sitzen, bewegt sich das Gespräch wie von selbst in Richtung französische Männer â zu den Männern auf der StraÃe, den Männern, die ich kenne.
»Wisst ihr, dass ich noch nie mit einem Franzosen im Bett gewesen bin«, sage ich leicht benebelt.
Zurück im Zug durchquere ich das Bordrestaurant, in der Hand eine Papiertüte mit einem Lachssandwich und Linsensalat. Ich bin wieder alleine, aber ich habe Miriam und Annemiek noch bei mir â in der Tasche eine kleine Flasche Wein und um meinen Hals eine neue Kette aus Blutkorallen, die wir in einem hippen kleinen Geschäft hinter dem Louvre ausgesucht haben. »He!«, höre ich jemanden neben mir rufen.
Ich drehe mich um und schaue in das Gesicht eines groÃen Mannes mit braunem Haar. Ich muss kurz nachdenken, aber dann weià ich es wieder: Das ist Pierre, ein Winzer aus dem Minervois, dem ich einmal auf einer Weinmesse begegnet bin. Ja, jetzt erinnere ich mich wieder an ihn: In der vornehmen Umgebung von »Vinexpo« zwischen lauter Herren in Anzügen stand er in einem lässigen Hemd und einer beigen Arbeitshose hinter seinem Tisch. Ich hatte ihn lustig gefunden mit seinem wuscheligen Haar, hatte ein freundliches Gespräch mit ihm begonnen, das beinahe in einem Streit geendet wäre, weil ich anders über die Bedeutung des Profits dachte als er.
Jetzt nickt er mir auffordernd zu, macht mir an seinem Tisch Platz. Vielleicht sind es die vier Stunden, die vor uns liegen, jedenfalls geht alles wie von selbst. Kurz sprechen wir über unseren Aufenthalt in Paris, über unsere Weine, dann erzählen wir von uns selbst, von unseren Leben. Ich nehme an, dass er normalerweise nicht viel spricht, sein Blick gleitet zögernd über mein Gesicht, scheint etwas zu suchen, bleibt dann hängen. Dann erzählt er von dem alten Dorf im Burgund, in dem er aufgewachsen ist, von seinem Studium, der Weltreise, die er anschlieÃend gemacht hat. »Ich habe das Weingut meiner Eltern meinem jüngeren Bruder überlassen«, sagt er »die Appellation ist inzwischen Gold wert, selbst der dümmste Junge aus meinen Kindertagen fährt inzwischen einen BMW . Ãberall stehen rosa Villen, von der Atmosphäre von damals ist nichts mehr übrig.« Pierre selbst hat Weinfelder auf einem Berg im Minervois gekauft, weit ab von der bewohnten Welt. Wir sprechen über das Leben auf dem Land, den Raum und die Leere, wie süchtig das macht. Ich stelle ihm genaue Fragen, die seine Augen kurz aufleuchten lassen. Mit Verwunderung geht er in seiner Geschichte einen Schritt zurück, holt neue Informationen an die Oberfläche, denkt über das nach, was er sagt. Ich wundere mich über die Tiefe
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