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Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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glitzerten im Regen. Er war im Begriff, sich durch die schwere Eichentür zu zwängen, als er auf etwas aufmerksam wurde. Er spähte durch den Regen und erkannte hinter der Einzäunung eine kleine Gruppe von Menschen, die sich unter Regenschirme duckten. Das war der Friedhof für hingerichtete Sträflinge und Selbstmörder, die auf ewig vom geheiligten Boden verbannt waren.
    Schaudernd wollte er sich schon abwenden, als ihm eine der Trauernden sehr bekannt vorkam. Sein Herz schlug so schmerzhaft gegen die Rippen, dass er kaum noch Luft bekam, als er durch die Pfützen platschte. Mit seinen vor Kälte tauben Fingern hatte er Mühe, den Riegel am Tor aufzubekommen, doch sein Blick blieb fest auf das Gesicht der Frau gerichtet.
    »Mutter?« Sein Flüstern ertrank im Regen und ging im Grollen des Donners unter.
    Susan kam zu ihm und ergriff seine Hände. Tiefer Kummer sprach aus ihrem Gesicht, die Augen waren dunkel vor stummer Qual. »Ernest«, murmelte sie. »Mein Liebling. Es tut mir so entsetzlich leid. Wir haben einen Boten geschickt, dich zu warnen, aber ihr müsst euch verpasst haben.«
    Ernest schaute über sie hinweg und suchte verzweifelt nach Millicent. Sein Blick fiel auf seinen Vater, und als er die Sorgenfalten auf dessen Gesicht sah, wusste er, dass er Millicent nicht finden würde. Er trat von seiner Mutter zurück und ging auf das Grab zu.
    Die Grube schien sehr tief und füllte sich bereits mit Wasser. Der Sarg lag dort, dürftig bedeckt von verregneten Rosen. Er sank auf die Knie in den Schlamm, seine Tränen vermischten sich mit dem Regen, während er versuchte zu verstehen, was passiert war. »Millicent?«, schluchzte er. »Millie, warum? Ich liebe dich, ich werde dich immer lieben – verlass mich nicht. Bitte, lass mich nicht allein.«
    »Sie ist schon fort, mein Liebling«, flüsterte Susan, kniete neben ihm nieder und legte ihm einen Arm um die Schultern. »Sie konnte nicht mehr bleiben.«
    Reverend Johnson räusperte sich und fuhr in seiner Grabrede fort, während seine Frau Susan und Ernest mit ihrem Schirm behütete. Ezra stand mit aschfahlem Gesicht und leerem Blick neben dem Grab, sein Glaube war erschüttert, seine Trauer so unerträglich, dass er keinen Trost für seine Frau und seinen Sohn fand.

Dreiundzwanzig
    Sydney Town, August 1793
    A
uch in den drei Monaten nach Millicents Beisetzung wurde die Atmosphäre im Haus nicht besser. Ernest kochte noch immer vor Wut auf die Cadwalladers – und auf die Justiz, die seine unschuldige kleine Millicent auf dem Gewissen hatte. Ezra lief wie ein Gespenst umher; sein stummer innerer Kampf gegen den Verlust des Glaubens an Gott war seinem gequälten Gesicht nur allzu deutlich abzulesen. George war wenige Stunden nach seiner Ankunft am Tag der Beerdigung nach Hawks Head zurückgekehrt; er konnte die düstere Stille nicht ertragen.
    Susan schaute auf das Wasser, das wie eine grüne Glasscheibe in der Bucht lag. Sie war innerlich aufgewühlt, denn sie musste sich zwangsläufig vielen unerquicklichen Wahrheiten stellen. Nun fragte sie sich, ob sich ihre Familie jemals von den Lügen und Täuschungen erholen würde, die sie heimgesucht und an den Rand des Verderbens gebracht hatten.
    Schaudernd erinnerte sie sich daran, wie Ernest jede Einzelheit des Gerichtsverfahrens hatte wissen wollen, das zu Millicents Selbstmord geführt hatte. Ezra wisse bereits alles, hatte sie ihm gesagt, sobald sie in jener furchtbaren Nacht allein waren – doch als sie allen Mut zusammengenommen hatte, um ihrem Sohn von dem Liebesbrief zu erzählen, den sie Jonathan damals geschrieben hatte, war Ezras verletzter Blick wieder vor ihr aufgetaucht.
    Sie hatte das nur ungern auf sich genommen, doch das Thema war nicht zu vermeiden, denn diese Notiz an ihren Geliebten war der Wendepunkt im Prozess gewesen und würde ohne Zweifel die Gerüchteküche zum Kochen bringen – es war besser, wenn Ernest es von ihr erfuhr, selbst auf die Gefahr hin, dass eine solche Enthüllung auch den letzten Zusammenhalt ihrer Familie zerstören würde.
    Die Verachtung in Ernests Augen war eine bittere Strafe gewesen, und sie wusste, dass es ihm schwerfallen würde, ihr zu verzeihen.
    Jetzt hatte sie keine Tränen mehr zu vergießen. Ihr Mann war ausgezehrt und mutlos wie sie, und ihr Sohn ging ihr aus dem Weg. Der Kampf, ihre Familie zu retten und sie wieder zusammenzubringen, würde lang und schwer werden – da gab sie sich keinen Illusionen hin –, aber sie würde kämpfen, denn obwohl

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