Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
Vom Netzwerk:
seine Rolle bei der Missetat dieser bösen Frau empfand. Seine Worte und sein Verhalten indes brachten sie zum Schweigen. Sie war erstaunt über seine Leidenschaft, über die schiere Verzweiflung in seinem Antrag. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie stark seine Gefühle waren – sie hatte ihn außerhalb der Kirche kaum zur Kenntnis genommen. Nun war er hier, kniete vor ihr, und seine dunklen Augen baten flehentlich darum, dass sie ihn zu Ende anhörte. Es war außergewöhnlich – und demütigend.
    Ihre Miene wurde weicher, als sie ihn zum ersten Mal aus der Nähe betrachtete. Seine Augen waren schön, und er sah recht gut aus, jetzt, da Farbe in sein Gesicht getreten und der Zug um seinen Mund weniger streng war. Vielleicht verbarg er seine Gefühle, weil er Angst hatte, verletzt zu werden. Eine Woge des Mitleids für sie beide überkam sie. Sie konnte ihn niemals lieben – würde ihn unwillkürlich immer mit Jonathan vergleichen –, und Ezra hatte Anspruch auf so viel mehr, als sie ihm zu geben vermochte. Ihr Mund wurde trocken, als sie versuchte, sich vorzustellen, in einer solch einseitigen Ehe eingeschlossen zu sein. Vielleicht reichte Ezras Leidenschaft ja für sie beide.
    »Ihre starken Gefühle ehren mich, Mr. Collinson«, murmelte sie. »Und Ihre Erklärung war in der Tat eine große Überraschung.« Sie schenkte ihm ein Lächeln, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen. »Aber ich bin in Trauer, und ich kann nicht …«
    »Ich weiß, dass Sie trauern«, unterbrach er sie, »und dass es nicht der richtige Zeitpunkt ist, mit Ihnen zu reden.« Mit zitternden Händen öffnete er das Etui und hielt es ihr hin. »Aber wenn die Trauerzeit vorbei ist, wollen Sie mir die große Ehre erweisen, meine Frau zu werden?«
    Ihre Brust hob und senkte sich im engen Mieder, als sie zuerst den Ring und dann wieder ihn anschaute. Sie sah das Flehen in seinen Augen, während das Schweigen zwischen ihnen sich ausdehnte, und wusste, dass er mit den Ränken von Lady Cadwallader nichts zu tun hatte. Er hatte ihr seine Seele offenbart, hatte ihr seinen Stolz zu Füßen gelegt in der Hoffnung, sie könnte seine Liebe erwidern. Ihr blutete das Herz, als sie seine Verletzlichkeit sah und daran dachte, dass sie sein Vertrauen missbrauchte.
    »Ja.« Es war fast ein Seufzer.
    Er starrte sie an; es war deutlich, dass er nicht zu glauben wagte, was er gehört hatte. Dann überflutete Freude sein Gesicht, als sie wie zum Einverständnis seine Hand berührte. Umständlich holte er den Ring heraus und ließ ihn beinahe zu Boden fallen, bevor es ihm gelang, ihn ihr über den Finger zu streifen. Er passte genau.
    Hätte Susan doch nur einen Bruchteil von Ezras Freude empfinden können, wäre sie vielleicht nicht so bekümmert gewesen.

Sechs
    Endeavour River (Cooktown), April 1770
    V
ier Tage hatte es gedauert vom Riff bis zur Mündung des Flusses, den Cook nach seinem Schiff benannte. Als der Anker schließlich in den Sand fiel und sie den Schiffsrumpf inspizierten, stellten sie fest, dass sie großes Glück gehabt hatten. Denn obwohl das Lecktuch ein paar gezackte Löcher gestopft hatte, waren sie eigentlich von den Korallen gerettet worden. Im größten Loch klemmte ein riesiges Stück, das es wasserdicht verschloss. Ohne dieses Korallenstück wäre die Endeavour mit Mann und Maus untergegangen.
    Anabarru und die anderen Frauen kauerten mit ihren Kindern im Schatten des Waldes, während die Ältesten eine eilig anberaumte Besprechung abhielten. Das seltsame Kanu mit den großen Flügeln war vor einiger Zeit gesichtet worden, und seine langsame, aber stetige Fahrt den Fluss hinauf war von Läufern beobachtet und berichtet worden. Große Bestürzung machte sich breit. Brachte dieses furchterregende Kanu einen Feind, der sie töten würde? Oder die Geister der Urahnen, die sie strafen wollten? Hatten sie die Geister irgendwie verärgert – und wenn, wessen Schuld war das?
    Die Ältesten führten eine hitzige Debatte, ihre Stimmen wurden lauter, sie schüttelten die Fäuste und brüllten, um sich Gehör zu verschaffen. Die jüngeren Männer vermuteten Feinde aus dem Norden und sprachen sich für einen Kampf aus. Sie richteten bereits ihre Speere her und bemalten sich mit ockerfarbenem Ton. Die Älteren und Weiseren rieten zu Ruhe und Würde – man solle abwarten, was dieses Gefährt ihrem Land bringe. Doch gab es einige geachtete Stimmen, die darauf beharrten, die Geister der Urahnen seien zu ihnen gekommen und deshalb hätten sie sich

Weitere Kostenlose Bücher