Träume jenseits des Meeres: Roman
Aber es ist zu spät. Und es steht dir nicht zu, den Pastor zu bestrafen – ich bin sicher, er hat keine Ahnung von Lady Cadwalladers Erpressung.« Sie warf einen Blick über die Schulter. »Genauso wenig wie der Rest der Familie, also sei auf der Hut.«
»Dann sollte man es ihm vielleicht sagen«, fuhr Susan sie an. »Vielleicht schämt sie sich dann so, dass sie ihre Meinung ändert.«
Maud schaute sie gequält an. »Es würde nichts bringen. Wenn die Lady sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann bleibt es dabei. Bitte, Susan, denk doch daran, was diese Heirat für Billy und mich bedeutet, und für die Witwen deiner Brüder.«
Susan verkniff sich eine Antwort und betrachtete das, was von ihrer Familie übrig geblieben war. Die jungen Witwen hatten sich in Mauds Küche versammelt und speicherten Wärme und Trost vom Feuer, während sie redeten, weinten, strickten und versuchten, mit ihrem Verlust fertig zu werden. Zwei von ihnen waren bereits obdachlos, eine erwartete in den nächsten Tagen ein Kind. Sie waren zu Maud gezogen, und jetzt war die winzige Kate bis oben hin vollgestopft.
Die beiden Enkel waren zum Glück zu jung, um die Not mitzubekommen, im Gegensatz zu Susans jüngerem Bruder Billy. Er stand am Eingang und sah seinen Freunden zu, wie sie eine Blechbüchse über das Pflaster kickten. Sein Bein war geschient und fest verbunden, und er lehnte sich schwer an den Türrahmen. Es würde lange dauern, bis der Bruch so weit abheilte, dass er wieder mit hinaus aufs Meer fahren konnte – und selbst dann gäbe es keine Garantie dafür, dass auf den wenigen verbliebenen Booten noch Platz für ihn wäre.
Die Galle kam ihr hoch, und wieder drohte sie in Tränen auszubrechen, als sie an ihre verlorenen Brüder und ihren geliebten Vater dachte. Wie grausam war das Schicksal, und wie sehr hasste sie Lady Cadwallader für ihren Mangel an Mitgefühl. Sie hatten nicht einmal Zeit gehabt, richtig zu trauern, und schon war ihr Leben durch das eigenmächtige Handeln der Lady durcheinandergeraten. Wenn Jonathan zu Hause wäre, wäre das alles nicht geschehen.
Sie schaute ihrer Mutter in die Augen, sah die Schatten darin und sah die tief in ihr Gesicht geprägten Furchen. Das Haar war das Einzige, das an ihr wahres Alter erinnerte, denn sie war gebeugt wie eine alte Frau unter einer Bürde, die auf den Schultern lastete. Der Elan und die Entschlossenheit, die sie ihr Leben lang gezeigt hatte, waren besiegt, und Susan gestand sich schweren Herzens ein, dass sie die Einzige war, die diesen Schaden wenigstens teilweise beheben konnte. »Ich zieh mich um«, murmelte sie.
»So kenne ich dich wieder.« Mauds Miene hellte sich auf.
Susan hastete die Holztreppe hinauf ins Schlafzimmer, das sie nun mit ihren Schwägerinnen teilte. Es war ein winziger Raum unter dem Dach; Matratzen lagen auf dem Boden, und das kleine Fenster ließ kaum Licht herein. Ihre Kleider hingen an Nägeln in den schweren Holzbalken, und das einzige Möbelstück war ein wackliger Tisch, auf dem eine Schüssel und ein Wasserkrug zum Waschen standen. Sie streifte die Kleider ab und schrubbte sich mit einem Stück Laugenseife die Fischschuppen und den Gestank nach Sardinen ab, bis ihre Haut glühte.
Während sie sich mühsam in die einzigen sauberen Kleider zwängte, die sie besaß, schob sie entschlossen den Gedanken beiseite, einen Fehler zu machen. Sie blendete das Bild des Geistlichen aus, als sie ihr Haar kämmte und es mit einem schwarzen Band im Nacken zusammenband. Es spielte keine Rolle – jetzt, da sie Jonathan verloren hatte, war alles einerlei. Das Opfer würde sich lohnen, wenn es ihrer Mutter nur wieder besser ginge und ihre Familie in der Kate wohnte – allerdings würde sie sich vergewissern, dass die Lady ihren Teil des Handels einhielt: Sie würde erst dann heiraten, wenn sie die Unterschrift der Lady auf den Übertragungsurkunden für die Kate gesehen hatte.
Ezra starrte sich im Spiegel an. Sein Haar schimmerte, er war frisch rasiert. Das Weiß seines Halstuchs leuchtete im schwachen Licht, das durch das Nischenfenster drang, seine Hose und Jacke saßen wie angegossen. Trotzdem war er verzweifelt, denn er sah noch immer wie ein Landpfarrer aus – eine Krähe von Mann mit einer Nase, die ihm wie ein Schnabel aus dem Gesicht ragte, und knochigen Handgelenken, die unter seinen Manschetten hervortraten. Er wandte sich vom Spiegel ab und setzte sich den Hut auf. Eitelkeit war eine Sünde, und selbst wenn er mit einem besseren
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