Träume jenseits des Meeres: Roman
entschlossen, ihn zu verabscheuen, und er hatte sich damit abgefunden, dass es keine Versöhnung geben würde.
Diese Ehe war, was ihn betraf, in der Hölle geschlossen worden, und er hatte die vergangenen vierzehn Jahre lieber auf hoher See verbracht statt auch nur eine Minute länger als unbedingt notwendig in seiner Londoner Wohnung oder auf den Bänken des Oberhauses. Wäre sein Sohn Edward nicht gewesen, hätte er England ein für alle Mal verlassen.
Für das trabende Pferd waren die unebenen Wege und die steilen Hügel eine Kleinigkeit, und schon bald kam das Haus in Sicht. Jonathan ließ das Pferd langsamer gehen und nutzte die Gelegenheit, das Auf und Ab der Party durch die eisernen Gartentore zu betrachten. Sein Blick wanderte über die Gesichter und blieb an der hübschen Frau in dem lila Kleid hängen. Sein Herz begann zu rasen. Er hätte sie überall wiedererkannt.
Ihr Haar war mit einem Band zurückgehalten, das zu dem lavendelfarbenen Kleid passte, und sie hatte eine schlanke Figur, die ihr Alter Lügen strafte. Er betrachtete ihr lebhaftes Gesicht eine Weile, bevor er die Kutsche vor der Haustür anhielt. Susan hatte schon immer gut ausgesehen, jetzt aber war sie noch schöner geworden. Sie schien so belebt, so energiegeladen – gerade so, als wären Sonne und Wind von Cornwall in ihrer schlanken Gestalt eingefangen, als würde sie jeden Augenblick davonfliegen.
»Wenn du mit deinen Tagträumen dann fertig bist, könntest du mir bitte hinaushelfen«, keifte Emily.
Jonathan wurde aus seiner Träumerei gerissen und half seiner Frau hastig beim Aussteigen. Er musterte ihr verkniffenes Gesicht und die dunkelgraue Kleidung und verglich sie unwillkürlich mit der lebhaften, schönen Susan, deren Anblick noch immer sein Herz schneller schlagen ließ. Plötzlich verlor er den Mut. Er hätte nicht kommen sollen.
Susan lachte gerade mit Emma über Ernests Possen, der versuchte, zwei hübschen jungen Mädchen Krocket beizubringen, als Ezras Hand sich um ihren Ellenbogen legte. »Wir haben Besuch, Liebes«, sagte er ruhig.
Sie drehte sich um, und ihr Lächeln geriet ins Schwanken. Ihr Herz tat einen Satz und pochte schmerzhaft gegen ihre Rippen, als sie ihn auf sich zukommen sah. Er unterschied sich kaum von dem Jungen, den sie geliebt und von dem sie so viele Jahre lang geträumt hatte. Sein schwarzes Haar war an den Schläfen nur leicht mit Silbergrau durchsetzt, er sah gut aus, und seine Figur war die eines körperlich gut durchtrainierten Mannes. Seine Augen aber waren es, die sie in ihren Bann zogen und alle Erinnerungen wachriefen, denn sie waren blau wie das Meer in Cornwall und fest auf sie gerichtet.
»Susan?« Ezras Griff an ihrem Ellenbogen wurde fester.
Sie blinzelte kurz und riss sich zusammen, wusste sie doch, dass sie beobachtet wurde, dass sie trotz der inneren Erregung kühle Zurückhaltung zu wahren hatte. »Ich bin nur überrascht, sie hier zu sehen«, murmelte sie. »Ich wusste nicht, dass sie eingeladen waren.«
»Ich hatte gehört, dass sie hier sind, und habe die Einladung in letzter Minute hinübergeschickt. Ich hoffe, du hast nichts dagegen?«
Sie hatte keine Zeit zu antworten, denn Jonathan und seine sauertöpfische Frau waren schon bei ihnen. Susan machte einen Knicks. »Wie überaus nett von Ihnen, dass Sie gekommen sind.«
Emily nickte herablassend, die Mundwinkel nach unten gezogen, und betrachtete Susan unter halb geschlossenen Lidern mit stechenden Augen.
Susan spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, denn das missbilligende Funkeln der Frau sagte mehr als alle Worte. Sie war wieder fünfzehn, ein Fischermädchen, das am Kai arbeitete, nicht die geachtete Frau eines Geistlichen.
Jonathan schüttelte Ezra die Hand, und Susan errötete noch mehr, als er einen Kuss über ihre Hand hauchte. Ihre Blicke begegneten sich, und der Rest der Welt schmolz dahin. Susan schwankte auf ihn zu. »Jonathan«, hauchte sie.
Gilbert machte den Augenblick zunichte. »Ezra«, dröhnte er und krallte eine fleischige Hand in die Schulter des Bruders. »Höchste Zeit, dass wir den Champagner trinken, den ich aus London mitgebracht habe, und dass ich meine Neuigkeiten verkünde.«
Susan riss sich von Jonathans Anblick los, als sie spürte, dass Ann ihr den Arm um die Taille legte und sie sanft von der Gruppe wegzog.
»Du siehst ziemlich erhitzt aus, meine Liebe«, murmelte Ann. »Komm, ich will dir ein bisschen von der köstlichen Limonade einschenken. Die wird dich ein wenig
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