Träume jenseits des Meeres: Roman
angenehmes Licht, und Susan summte eine kleine Melodie, während sie durch den Raum schritt und ihre Gedanken zu Jonathan wandern ließ. Ihre heimlichen Begegnungen hatten mit Anbruch des Winters ein Ende genommen. Jonathan würde in Kürze nach London zurückfahren, und sie würde auf seine Rückkehr im Frühling warten müssen.
Die Regenfälle im Sommer waren kein Hindernis für sie gewesen, sie hatten eigentlich sogar dazu gedient, ihr Geheimnis zu wahren, da sie Spaziergänger und Neugierige fernhielten. Jonathans Liebesspiel hatte eine Energie in ihr wachgerufen, die sie glaubte vergessen zu haben – eine Freude, die sie nie zuvor erlebt hatte. Sie war unter seiner Berührung zum Leben erwacht, hatte sich freimütig und mit Begeisterung hingegeben, denn seine Küsse entfachten eine Leidenschaft in ihr, die sie zur Dirne werden ließ. Sie verzehrte sich nach seiner Berührung und danach zu spüren, wie ihre nackten Leiber übereinanderglitten, wenn sie sich in der dunklen Höhle vereinten.
Sie blieb hinter einem der gepolsterten Stühle stehen und ließ die Hand auf der geschnitzten Rückenlehne ruhen, ihre Haut prickelte bei den Erinnerungen. Die Höhle war zu einer Zaubergrotte geworden, ausgestattet mit Kerzen und Decken, die Jonathan nach jenem ersten Tag mitgebracht hatte. Auch Wein hatte es gegeben, Obst und kleine Kuchen, die sie zu sich nahmen, wenn sie sich nackt unter die Decke kuschelten und das Meer beobachteten, bevor sie sich erneut liebten. Mit schiefem Lächeln richtete sie sich das Mieder, nach den vielen Schokoladenkuchen grub sich das Korsett ins Fleisch.
»Wann gibt es was zu essen? Ich sterbe vor Hunger.«
Georges Frage riss sie aus ihrer Träumerei, und sie zerzauste ihm das dichte braune Haar. »Wenn dein Vater aus Truro zurückkommt«, antwortete sie.
George verabscheute es, wenn man ihm durch die Haare fuhr, und machte ein langes Gesicht. »Warum ist er in Truro?«, fragte er, ließ sich auf einen Stuhl fallen und begann, aus einem Stück Wollfaden ein Fadenspiel zu machen.
Susan sah ihm eine Weile zu und seufzte. Georges Kniehose war zerrissen, seine Schuhe waren schmutzig, und seine Taschen beulten sich verdächtig aus. »Ich habe keine Ahnung«, sagte sie schließlich. Sie langte in seine Tasche und verzog das Gesicht, als sie ein unsäglich dreckiges Taschentuch herauszog, eine Muschelsammlung und alte Knochenstücke, ein paar Kieselsteine und einen angebissenen Apfel. »Also wirklich, George«, schimpfte sie. »Du hast die Jacke ruiniert, und sie ist noch fast neu.«
George grinste und zog einen toten Frosch aus der anderen Tasche. »Ich werde ihn aufschneiden und mir seine Innereien ansehen«, fügte er mit Genugtuung hinzu.
Susan überlief ein Schauder, und sie forderte ihn auf, den Raum zu verlassen. Ein forschender Geist war gut und schön, aber selbst wenn sie in einem Zeitalter der Entdeckungen und Erfindungen lebten, trieb George es doch ein bisschen zu weit. »Und wasch dir die Hände vor dem Essen«, rief sie ihm nach.
Er polterte die Treppe hinauf und schlug oben die Tür zu. Susan schloss die Augen. Die Realität war doppelt so schwer zu ertragen, wenn Jonathan in London war, und sie fragte sich, wie sie den Winter ohne ihn überstehen sollte.
Endlich, als sie schon dachte, das Abendessen wäre verkocht, kam Ezra nach Hause. Sie half ihm eilig beim Ablegen des nassen Mantels und des Hutes und führte ihn schleunigst ins Esszimmer, wo sogar Ernest Ungeduld erkennen ließ. »Was hat dich denn aufgehalten?«, fragte sie, als er das Dankgebet gesprochen hatte und begann, das Lamm anzuschneiden.
»Es gab viel zu bereden«, erwiderte er vage. »Ich habe einfach nicht auf die Zeit geachtet.«
Susan trug das Gemüse auf und reichte die Platten herum. »Ich hätte nie gedacht, dass schulische Angelegenheiten so lange dauern. Du hast doch nur zehn Schüler.«
»Heute ging es um mehr als nur um die Schule«, erwiderte er. »Ich hatte noch anderes zu tun, Pläne zu machen und so weiter.«
Sie sah ihn scharf an. Ezra wich absichtlich aus. Was um alles in der Welt hatte er in Truro gemacht? »Das klingt alles sehr mysteriös«, sagte sie leichthin und versuchte, ihre Verärgerung zu verbergen. »Ich hoffe, du weihst mich in dein Geheimnis ein – oder ist es so schrecklich, dass du es für dich behalten musst?«
Ezra begann zu essen, den Blick starr auf den Teller gerichtet. »Ganz und gar nicht«, antwortete er. »Du wirst alles noch früh genug erfahren. Doch
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