Träume jenseits des Meeres: Roman
solltest du deine Phantasie nicht mit dir durchgehen lassen, meine Liebe. Das ist nicht gesund.«
Susan betrachtete ihn eine Weile, die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengekniffen. Ezra ärgerte sie allmählich – so wie in letzter Zeit häufig. Sie wandte den Blick von ihm ab und stellte fest, dass Florence sie neugierig beobachtete. Ihr wurde unbehaglich zumute, und sie versuchte, sich auf das Essen zu konzentrieren, das plötzlich nach Asche schmeckte. Jonathan und sie waren in den letzten vier Monaten sehr diskret gewesen, und sie war sicher, dass man sie nicht gesehen hatte – sicher, dass sie so gut hatte lügen können, um ihre Spuren zu verwischen und Verdacht abzuwenden –, doch heute Abend herrschte eine sonderbare Atmosphäre im Haus, was nichts Gutes ahnen ließ.
Während des Essens übertönte George mit seinem Geplapper die ruhigeren Stimmen von Emma und Florence. Susan hatte keinen Appetit. Ihr fiel auf, dass ihr Mann sehr wenig sagte, und trotz des lebhaften Wortwechsels zwischen den Jungen wuchs die Spannung an, und sie wünschte sich, die Mahlzeit wäre bald beendet, so dass sie in ihr Nähzimmer gehen, die Tür hinter sich schließen und in Ruhe von Jonathans Rückkehr träumen konnte.
»Heute habe ich etwas Interessantes gehört«, sagte Florence in eine Gesprächspause hinein. Sie wartete, bis ihr alle zuhörten. »Ich war unten im Dorf und lief Katy Webster über den Weg.« Diese Feststellung traf auf fragende Blicke, und sie beeilte sich, eine Erklärung zu liefern. »Katy arbeitet in der Küche im Treleaven House und ist stets eine dankbare Quelle, wenn man wissen will, was da oben vor sich geht.«
Susan hielt die Hände fest verschränkt auf dem Schoß und setzte mit Absicht eine ausdruckslose Miene auf, während ihre Gedanken außer Kontrolle zu geraten drohten.
»Du solltest nicht auf Klatsch und Tratsch hören«, sagte Ezra und legte seine Serviette auf den Tisch. »Das ist Teufelswerk.«
»Nicht so teuflisch wie das, was Millicent Parker zugestoßen ist«, entgegnete Florence. »Katy hat mir gesagt, sie sei entlassen worden, innerhalb von einer Stunde musste sie mit Sack und Pack das Haus verlassen.«
»Das kommt vor«, sagte Ezra. »Zweifellos wurde sie beim Stehlen erwischt?«
»Eher dabei, dass sie in anderen Umständen ist«, sagte Florence mit Genugtuung. »Sie hat ein Heidentheater veranstaltet, als die Köchin es herausfand, hat geschrien und geweint – und Lord Cadwallader die Schuld gegeben.«
Susan spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Ihre Gedanken überschlugen sich. »Das ist doch eine Lüge«, brachte sie schließlich hervor. »Seine Lordschaft würde sich nie so weit herablassen.«
Florence schüttelte den Kopf. »Katy hat gesagt, Millie hat so einen Lärm veranstaltet, dass Seine Lordschaft sie hörte und tatsächlich in die Küche kam. Er war außer sich vor Wut, packte sie am Arm und zog sie hinter sich her die Treppe hinauf in die Bibliothek.«
Susan wäre am liebsten aus dem Zimmer gerannt, war aber auf ihrem Stuhl wie festgefroren. Sie konnte den Blick nicht von ihrer Tochter abwenden, konnte nicht überhören, was sie sagte; die Worte des Mädchens donnerten in ihrem Kopf wie Hammerschläge.
»Katy ist die Hintertreppe hinaufgeschlichen und hat an der Tür gelauscht, konnte aber nicht viel mehr als Millies Weinen und die laute Stimme Seiner Lordschaft hören. Schließlich kam Millie wieder mit gepackten Sachen in die Küche, und als die Köchin nicht hinsah, zeigte sie Katy das Geld, das Seine Lordschaft ihr gegeben hatte.« Sie holte tief Luft. »In dem Geldbeutel waren zwei Guineen. Er hätte ihr wohl kaum etwas gegeben, wenn ihn keine Schuld träfe, oder?«
Susan saß unter dem unschuldigen Blick ihrer Tochter wie ein Kaninchen in der Falle. Mühsam wandte sie ihre Aufmerksamkeit von Florence ab und schaute ihren Mann an, der sich jedoch mit undurchdringlicher Miene auf das Glas Portwein konzentrierte, aus dem er trank.
Susan wurde übel. Ihre Welt brach zusammen, und der Dunstschleier des Glücks, unter dem sie den ganzen Sommer verbracht hatte, wurde plötzlich fortgerissen, um das Ganze als geschmacklose, billige kleine Affäre zu enttarnen. Sie hatte Jonathan geglaubt, als er sagte, er liebe sie. War der Meinung gewesen, sie sei für ihn genug, seine über alles geschätzte verlorene Liebe. Dabei hatte er die ganze Zeit mit der Magd geschlafen. Wie hatte sie nur so dumm sein können, so viel für einen solchen Mann zu
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