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Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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wären ideal.
    Die Sonne schien hell durch die dahinjagenden Wolken, als sie am Rand der Klippen entlangging, vorbei an den Schornsteinen von Wheel Dragon. Der salzige Wind stach ihr ins Gesicht und zerrte an Cape und Haube. Jugendliche Freude und Ausgelassenheit beschleunigten ihren Schritt, sie breitete die Arme aus und rannte mit einem glücklichen Aufschrei den steilen Abhang hinunter. Es kam ihr so vor, als wäre sie wieder ein Mädchen, ein junges Fischermädchen, das sich nur wenig um die steife, erstickende Welt aus Etikette und Manieren scherte, in der sie jetzt lebte. Sie hatte vergessen, wie viel Freude es machte, frei zu sein.
    Sie stapfte den nächsten Hügel hinauf und blieb einen Augenblick stehen, um Luft zu holen. Das Dorf lag weit hinter ihr, und sie konnte nur die Küste von Newlyn in der Ferne ausmachen. Der Strand tief unten war menschenleer, nur draußen auf dem Meer war ein kleines Fischerboot, das mit vollen Segeln auf den Hafen zusteuerte. Sie war fast am Ziel.
    Der Pfad, den sie als Kinder benutzt hatten, war kaum zu erkennen, und als sie den Weg durch den Stechginster und die gedrungenen, arthritischen Bäume aufnahm, die rechts und links wuchsen, empfand sie ihn steiler, als sie ihn in Erinnerung hatte. Ihre Stiefel glitten und rutschten, und einmal blieb ihr fast das Herz stehen, als sie glaubte zu stürzen, doch ihre Entschlossenheit hielt sie aufrecht, so dass sie schon bald am Kiesstrand angekommen war. Sie musste sich zwangsläufig eingestehen, dass sie nicht mehr so agil oder wagemutig war, denn früher war sie den Pfad hinuntergerannt, beinahe mit trotziger Zuversicht, dass ihr nichts zustoßen würde.
    Susan wartete, bis sich ihr Pulsschlag normalisiert hatte, richtete Cape und Haube gerade, stemmte sich gegen den Wind und ging über den knirschenden Kies. Das Wasser war abgelaufen und hatte einen breiten, feuchten und gelben Sandstreifen freigelegt. Stelzvögel inspizierten die Pfützen in den Felsen, Taschenkrebse huschten umher, Treibholz und Seetang markierten die Flutlinie.
    Möwen stießen kreischend herab und stritten sich um einen toten Fisch auf dem Strand. Es war bitterkalt für Mai, vom Meer kamen heftige Windstöße, die so kräftig waren, dass sie ins Taumeln geriet. Die dunklen Klippen ragten über ihr auf, und an den brüchigen Stellen lagen große Felsbrocken im Kies verstreut, die den Weg eines Riesen über Trittsteine ins Meer zu markieren schienen.
    Sie hob die Röcke und ging um diese Felsen, und als sie beim letzten angelangt war, zögerte sie. Plötzlich wurden ihr die Risiken bewusst. Sie schloss die Augen. Fieberhafte Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf. Was um alles in der Welt machte sie da? War sie denn wahnsinnig, alles aufs Spiel zu setzen für einen intimen Augenblick mit Jonathan? Wenn sie nun jemand gesehen hatte? Wenn Ezra bereits Verdacht schöpfte, dass sie etwas im Schilde führte – er hatte sie an diesem Morgen ganz merkwürdig angesehen, als sie ihn aus dem Haus hetzte.
    Außerdem waren da noch die Kinder. Hatte sie so gut gelogen, um sie zu überlisten? Konnte sie so weitermachen, wenn heute alles gut ging? Während sie dort stand, die Augen geschlossen, vom Wind zerzaust, kämpfte sie mit ihrem Gewissen. Vielleicht kam Jonathan ja gar nicht – in gewisser Weise wäre es eine Erleichterung, denn sie war eine Närrin. Sie sollte jetzt umkehren, ehe es zu spät war. Ihn vergessen. Ihn in der Vergangenheit lassen, wohin er gehörte.
    »Ich habe nicht geglaubt, dass du kommst.«
    Sie riss die Augen auf. Da stand er, keinen halben Meter entfernt, die Hand ausgestreckt, um ihr bei den letzten Schritten zu helfen. Ihr Herz pochte wild, ihr Mund trocknete aus. Ihre Vernunft setzte aus; sie ergriff seine Hand, und als sie in seine Arme sank, wusste sie, sie würde alles riskieren, um bei ihm zu sein.

Zwölf
    Mousehole, September 1786
    D
er Sommer ging ebenso feucht zu Ende, wie er begonnen hatte, und jetzt war Mitte September. Higgins, Ezras Diener, hatte längst eine andere Stellung angetreten, die näher bei London lag, wo seine Dienste dringender gebraucht wurden. Mrs. Pascoe hatte eine schwere Erkältung, die sie anscheinend nicht loswurde, und man hatte sie nach Hause geschickt, so dass Susan allein im Esszimmer war und den Tisch für das Abendessen deckte.
    Der Tag war zur Neige gegangen, und sie hatte die Samtvorhänge zugezogen, um die stürmische Nacht auszuschließen, und das Feuer im Kamin angefacht. Die Kerzen verbreiteten ein

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