Träume jenseits des Meeres: Roman
schmecken. Die Köchin hatte sich wieder einmal selbst übertroffen, und der Apfelkuchen, den sie an diesem Morgen gebacken hatte, war nicht nur köstlich, sondern zusammen mit einer großen Kanne dickflüssiger kornischer Sahne ein Gericht, das er in London nie bekommen würde.
Satt und zufrieden kehrte er mit einer Tasse starken Kaffees wieder in seinen Sessel am Kamin zurück und langte nach seiner Post. Kurz darauf kam er zum letzten Brief. Er kannte das Siegel nicht, doch als er es entfernte und die Nachricht las, riss er die Augen weit auf. Susan wollte sich am nächsten Morgen mit ihm in der alten Höhle treffen.
Er starrte ins Feuer und sah zu, wie die Flammen um die Holzscheite tanzten. Es war, als habe sie seine Gedanken gelesen, als habe sie gewusst, dass er sie brauchte. Wagte er, der Einladung zu folgen, obwohl er wusste, wohin es führen könnte? Ihr wehzutun war das Letzte, was er wollte.
Er schaute aus dem Fenster, und seine Gedanken machten ihn blind für das Glitzern des Meeres. Dann lächelte er. Natürlich würde er sie sehen. Es würde nicht wehtun – nicht, wenn es nur dieses eine Mal war.
Uluru, Australien 1786
Der Sommerregen hatte die lange Wanderung nach Süden schwieriger gestaltet als sonst, denn die Flüsse traten über die Ufer, und die Erde war nur noch Schlamm. Man hatte in provisorischen Unterständen aus Blättern und Zweigen Schutz gesucht, doch mussten Anabarru und ihr Stamm Tag und Nacht Wache halten, denn die Krokodile waren überall.
Anabarru stand hinter Watpipa, die vier jüngsten Kinder an ihrer Seite. Sie schauten über die Ebene hinaus, in deren Mitte die heilige Stätte Uluru lag. Der Regen hatte endlich aufgehört, und die rote Wüste war mit bunten Blumen und blühenden Bäumen bedeckt. Sie blieben eine Weile stehen, um den Anblick zu bewundern, bevor sie sich an die Lagerfeuer begaben, deren Rauchfahnen in der ruhigen Luft schwebten. Das große corroboree sollte am nächsten Tag beginnen.
Watpipa war jetzt der Erste unter den Ältesten, und sobald ein Lagerplatz ausgesucht worden war, ging er mit den anderen Männern fort, um den Wächtern von Uluru zu huldigen. Stolz sah Anabarru ihnen nach, als ihr Sohn sich ihnen anschloss. Er war jetzt ein Mann, hatte die Initiationsriten hinter sich und sollte am letzten Tag der Versammlung die Tochter ihrer Kusine Lowitja heiraten. Er war wahrhaftig ein Abkömmling von Djanay, denn er verfügte bereits über mehr Weisheit, als es für einen Achtzehnjährigen üblich war, und man betrachtete ihn als rechtmäßigen Erben der Stellung des Vaters innerhalb des Stammes.
»Anabarru. Sei willkommen.«
Anabarru drehte sich lächelnd um und umarmte ihre Lieblingskusine, die genauso alt war wie sie. »Lowitja. Wir haben uns lange nicht gesehen.« Sie tauschten Geschenke aus Ton und Muschelketten, während sie sich beim Familienklatsch auf den neuesten Stand brachten und mit ihren Kindern und Enkeln prahlten.
»Es ist gut für die Nachfahren von Djanay und Garnday, zu einem so wichtigen corroboree zusammenzukommen«, sagte Lowitja, als sie sich auf den Boden setzten. »Garndays Geist ist immer bei mir und sagt mir in den Steinen, dass die Eheschließung meiner Tochter mit deinem Sohn gesegnet ist, denn sie werden unseren Stämmen in den bevorstehenden schweren Zeiten große Weisheit bringen.«
Ihre bernsteinfarbenen Augen betrachteten die zweifelnde Anabarru. »Wir werden am Lagerfeuer der Frauen über die Geistermänner reden, die in unsere heiligen Länder kamen, denn sie werden wieder zurückkehren.«
Anabarru war beunruhigt, als ihre Kusine schwere Zeiten erwähnte, doch bei dem Gedanken an den Mann, der Watpipa vor so vielen Jahren beeindruckt hatte, musste sie unwillkürlich lächeln. »Es ist gut«, murmelte sie.
Lowitja packte ihren Arm, ihre Miene wurde ernst. »Sie werden den Tod bringen, Anabarru«, warnte sie. »Garnday hat es mir gesagt.«
Anabarru schauderte. Lowitja war mit dem Geist ihrer Vorfahrin beseelt, und ihre Prophezeiungen waren bei den Stämmen bereits legendär. »Aber wir sind ihnen begegnet und mit ihnen auf die Jagd gegangen, wir haben mit ihnen geredet und gemeinsam am Lagerfeuer Fleisch gegessen«, stammelte sie. »Ihre Haut ist blass, und sie verhalten sich eigenartig, aber es sind Männer wie die unseren.«
»Sie werden in großer Zahl kommen und sich über das ganze Land ausbreiten«, sagte Lowitja, nahm eine Handvoll Erde auf, warf sie in die leichte Brise und sah zu, wie sie sich
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