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Traeume Suess, Mein Maedchen

Titel: Traeume Suess, Mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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blickte sich um, aber es tat sich nichts. »Mein Freund sollte heute Morgen operiert werden«, sagte sie unaufgefordert. »Irgendwie ist er dann hier gelandet.« Sie ging wieder zu dem Klingelknopf und drückte ihn mehrmals rasch hintereinander.
    »Ja?«, ertönte Sekunden später eine Stimme. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich heiße Jamie Kellogg. Ich möchte zu Tim Rannells«, brüllte Jamie in die Gegensprechanlage.
    »Sind Sie eine Verwandte von Mr. Rannells?«
    »Sie sagen besser ja«, riet ihr die Frau auf dem Plastikstuhl. »Sonst lässt man Sie nicht rein.«
    »Ich bin seine Schwester«, sagte Jamie, ohne zu überlegen. Wahrscheinlich weil ihre eigene Schwester ständig in ihren Gedanken herumgeisterte. Sie lag ihr schon seit Wochen in den Ohren, dass sie vorbeikommen und mit ihr gemeinsam den Nachlass ihrer Mutter durchgehen sollte.

    »Bitte nehmen Sie noch ein paar Minuten Platz«, sagte die Stimme und schaltete sich ab.
    Jamie wandte sich wieder der Frau auf dem Stuhl zu. »Vielen Dank für den Tipp.«
    »So sind halt die Regeln«, meinte sie achselzuckend. »Ich heiße übrigens Marilyn.«
    »Jamie«, stellte Jamie sich vor. »Ich wünschte, jemand könnte mir sagen, was eigentlich los ist.« Sie starrte auf den Klingelknopf. »Sie glauben doch nicht, dass etwas Schreckliches passiert ist, oder?« Eine dumme Frage, wie ihr sofort klar wurde, was sie jedoch nicht davon abhielt, eine weitere zu stellen. »Oder dass er gestorben sein könnte?«
    »Ich bin sicher, es wird jede Minute jemand kommen«, sagte Marilyn.
    »Ich meine, er ist bloß wegen eines gebrochenen Knöchels eingeliefert worden.«
    »Versuchen Sie, ruhig zu bleiben.«
    Jamie lächelte, obwohl ihr schon Tränen in den Augen standen. Ihre Mutter hatte sie auch ständig ermahnt, ruhig zu bleiben. »Das hat meine Mutter auch immer gesagt«, wiederholte sie laut. »Sie meinte, ich wäre zu impulsiv und unbesonnen, ich würde dazu neigen, voreilige Schlüsse zu ziehen.«
    »Na, das sind ja viele große Worte.«
    »Meine Mutter war Richterin.«
    »Klingt so, als würde es ihr Spaß machen, Leute zu verurteilen.«
    Irritiert von Marilyns Bemerkung lehnte Jamie sich zurück. Sonst erinnerten sie die Leute ständig daran, was für eine großartige Frau ihre Mutter gewesen war. Sie war überrascht, nicht nur über den ungefragten Kommentar der Frau, sondern auch darüber, wie gut ihr diese Bemerkung tat.
    »Tut mir Leid, ich hoffe, ich habe Sie nicht gekränkt.«
    »Nein, überhaupt nicht.«
    Die Frau wandte sich wieder der Zeitschrift auf ihrem Schoß zu.

    »Ich habe auch eine Schwester«, fuhr Jamie unaufgefordert fort. »Sie ist ziemlich genau so, wie ich hätte sein sollen - Anwältin, verheiratet, zwei Kinder … perfekt eben.«
    »Eine perfekte Nervensäge, meinen Sie.«
    Jamie lächelte. Je mehr Marilyn redete, desto sympathischer wurde sie ihr. »Sie ist schon in Ordnung. Nur manchmal ist es schwer, weil ich die große Schwester bin. Sie sollte eigentlich zu mir aufblicken und nicht umgekehrt.«
    Jamie wartete darauf, dass Marilyn sagte, ihre Schwester würde bestimmt auch zu ihr aufblicken, was, auch wenn es nicht wahr war, schön zu hören gewesen wäre, aber die Frau schwieg. Plötzlich ging die Tür zur Intensivstation auf, und eine gut aussehende Frau in schwarzer Hose und gelbem Pullover betrat mit grimmiger Miene den Wartebereich. Sie war mindestens fünf Zentimeter größer und einige Jahre älter als Jamie, und mit ihren kinnlangen, ein wenig zu schwarzen Haaren und dem zu roten Lippenstift wirkte sie auf eine aggressive Art attraktiv.
    »Wer von Ihnen ist Jamie Kellogg?«
    Jamie sprang auf. »Ich bin Jamie.«
    »Sie sind Tim Rannells’ Schwester?«
    War das Tims Ärztin, fragte Jamie sich und dachte, dass die Frau im Umgang mit Patienten und ihren Angehörigen unbedingt bessere Manieren an den Tag legen sollte. »Genau genommen seine Halbschwester«, hörte Jamie sich sagen und biss sich auf die Unterlippe, um diese Lüge nicht noch weiter auszuschmücken. Hatte ihre Mutter ihr nicht immer erklärt, dass man an der Menge der Details, die unaufgefordert zu berichten sich ein Zeuge gedrängt fühlte, erkennen konnte, ob er oder sie log.
    »Tim hat keine Schwester. Auch keine Halbschwester«, sagte die Frau, und Jamie spürte, wie sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht wich. »Also wer sind Sie?«
    »Wer sind Sie?«, fragte Jamie zurück.
    »Ich bin Eleanor Rannells. Tims Frau.«

    Die Worte trafen Jamie wie eine riesige Faust, die

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