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Traeume Suess, Mein Maedchen

Titel: Traeume Suess, Mein Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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wenig schmeichelhaften Jogginganzug mit dem Emblem des lokalen Fitnessclubs. »Ich arbeite vier Tage die Woche von zehn bis drei bei Scully’s«, sagte sie, als sie Emmas Blick bemerkte. »Während Michael in der Schule ist. Ich glaube, unsere Söhne sind in derselben Klasse. Miss Kensit?«

    Emma nickte, griff in die Schublade neben der Spüle und zog eine weitere Zigarette heraus. »Auch eine?«
    »Nein danke. Ich rauche nicht.«
    Emma zündete nickend ihre zweite Zigarette des Tages an und blies Rauchkringel in die Luft. »Und was ist mit der Geschichte?«, fragte sie und wies mit dem Kopf auf den wattierten Umschlag, der vor Lily auf dem Tisch lag.
    Lily zuckte die Achseln. »Wie heißt es so nett, Hoffnung keimet ewiglich …«
    »Wollen Sie Schriftstellerin werden?«
    »Ja, schon seit ich ein kleines Mädchen war. In der Schule war ich immer die, die ihren Aufsatz vorlesen sollte, weil alle ihn immer so toll fanden. In der 10. Klasse hat meine Englischlehrerin tatsächlich verkündet: ›Dieses Mädchen wird eines Tages Schriftstellerin werden.‹«
    Lily zuckte noch einmal mit den Schultern. »Na ja, ich werd es weiter versuchen.«
    »Das ist nicht die erste Absage?«
    »Wahrscheinlich eher meine hunderterste. Ich könnte Ihre Wände damit tapezieren.«
    »Nur zu!« Emma lachte und merkte, dass sie Spaß hatte. Wie lange war es her, dass sie sich mit einem anderen Erwachsenen bei einer Tasse Kaffee entspannt hatte. »Ich hab mal eine Geschichte veröffentlicht«, vertraute sie ihrer Nachbarin an.
    Lily riss ihre braunen Augen auf und stellte den Becher auf dem Tisch ab. »Wirklich? Wo denn?«
    »In der Cosmo.« Sie lächelte verlegen. »Das ist lange her. Und es war eine andere Art von Geschichte als die, die Sie schreiben. Es ging um meine Erfahrungen als Model.«
    »Sie sind Model?«
    Emma wünschte, Lily hätte nicht ganz so überrascht geklungen. »Eigentlich nicht. Jedenfalls nicht mehr. Vor ein paar Jahren habe ich ein bisschen gemodelt. Vor meiner Hochzeit.«

    »Warum haben Sie damit aufgehört?«
    Emma zuckte die Achseln. »Aus keinem besonderen Grund.«
    Lily nickte, als würde sie verstehen.
    Wie konnte sie, fragte Emma sich. »Haben Sie je Maybelline-Mascara benutzt?«
    »Klar.«
    »Erinnern Sie sich an die Verpackung?«, fragte Emma. »Die mit den riesigen blauen Augen, die einen angesehen haben.«
    »Ja, ich glaube, ich erinnere mich.«
    »Das waren meine.«
    »Das waren Ihre Augen? Das ist nicht Ihr Ernst!«
    Wieder wünschte Emma, Lily hätte nicht ganz so erstaunt geklungen. »Genau das hab ich auch gesagt, als mich eines Nachmittags dieser schmierig aussehende Typ bei McDonald’s ansprach und meinte, er sei Fotograf und ich hätte absolut unglaubliche Augen. Er gab mir seine Karte, und obwohl ich das Ganze nach wie vor für einen Witz hielt, habe ich sie meiner Mutter gegeben, sie hat den Typen angerufen, und es stellte sich heraus, dass er echt war. Und ehe ich mich versah, waren meine Augen auf jeder Maybelline-Verpackung.«
    »Das ist ja toll.«
    »Ja, ich hab noch ein paar andere Sachen gemacht, aber dann habe ich geheiratet und … Sie wissen ja, wie das ist.«
    Lily nickte, als ob sie es wirklich wüsste.
    Emma zog ein weiteres Mal intensiv an ihrer Zigarette. »Sind Sie verheiratet?«
    »Ich bin verwitwet«, sagte Lily kaum hörbar.
    »Verwitwet? Oh. Was ist passiert?«
    »Ein Motorradunfall.« Lily schüttelte den Kopf, als wollte sie ein unangenehmes Bild loswerden. »Und Sie haben Ihre Model-Geschichte in der Cosmopolitan veröffentlicht?«, fragte sie, offensichtlich bemüht, das Thema zu wechseln. »Das ist fantastisch. Ich würde sie gern lesen.«

    »Ich auch«, sagte Emma. »Leider musste ich alle Exemplare zurücklassen, als ich umgezogen bin.«
    Lily schwieg nachdenklich, trank ihren Becher leer und sah auf die Uhr. »Ich sollte jetzt besser gehen, sonst komme ich zu spät zur Arbeit.« Sie sammelte ihre Post vom Tisch ein und stand auf. »Hören Sie«, sagte sie, als sie schon an der Haustür war, »ich habe vor ein paar Monaten einen Lesezirkel gegründet, nur ein paar Frauen aus der Straße und ein paar Leute von der Arbeit. Wir treffen uns heute Abend bei mir, wenn Sie vorbeikommen wollen.«
    »Nein danke«, sagte Emma hastig. »Lesezirkel sind eigentlich nicht so mein Ding.«
    »Na ja, falls Sie es sich noch anders überlegen …« Lily rannte die Stufen hinunter. Auf dem Bürgersteig blieb sie noch einmal stehen und hielt ihre Post hoch. »Halb acht«, rief sie.

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