Traeume Suess, Mein Maedchen
verstecken, überlegte sie, rannte ins Bad, stieg in die noch feuchte Wanne und zog den Duschvorhang um ihren Körper. Was würde sie für eine separate Duschkabine geben, dachte sie, als ihr Sohn bei zehn angekommen war.
»Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein.«
Und ein Whirlpool, träumte Emma weiter, während sie darauf wartete, Dylans tapsende Schritte auf den Fliesen zu hören. Stattdessen stampfte er die Treppe hinunter. Wohin wollte er? Er musste doch wissen, dass sie sich in der Dusche versteckte. Dort versteckte sie sich jedes Mal. Was machte er? Sie zog den weißen Plastikvorhang beiseite, stieg vorsichtig aus der Wanne und schlich auf Zehenspitzen zur Treppe. Sie hörte ihn in den Küchenschränken herumkramen. Als ob ich mich in ein so winziges Fach zwängen könnte, dachte sie lächelnd und kehrte ins Bad zurück, wo sie sich die Haare kämmte und ein wenig Rouge und Wimperntusche auftrug. »Maybelline natürlich«, erklärte sie ihrem Spiegelbild und hörte, wie Dylan aus der Küche ins Esszimmer lief.
»Ich kann dich nicht finden, Mommy.«
»Du musst weitersuchen«, ermutigte Emma ihn, zeichnete mit einem Konturenstift ihre Lippen nach und trug zwei Schichten Lippenstift in einem dunklen Rosa auf, bevor sie nach dem Föhn unter dem Waschbecken griff. Während ein Strom warmer Luft ihre Haare aufwirbelte, ging sie im Kopf die Kleider in ihrem Schrank durch. Was trug man zu einem Lesezirkel, fragte sie sich. Ein Rock könnte zu förmlich wirken, während Jeans womöglich mangelnden Respekt bekundeten. Wahrscheinlich war eine schlichte schwarze Hose am sichersten, entschied sie, aber ihre einzige schwarze Hose war aus Wolle und für die Jahreszeit vielleicht schon ein wenig zu dick. Sie brauchte ein paar neue Sachen, beschloss
sie, nichts Extravagantes oder Unpraktisches, nur ein paar Baumwollhosen und ein paar nette Oberteile. Dylan könnte natürlich auch neue Kleidung gebrauchen, dachte sie, als sie einen anklagenden Blick aus zwei blauen Augen spürte.
»Du hast dich gar nicht versteckt«, sagte Dylan mit zitternder Unterlippe.
»Doch, eben schon«, wollte Emma erklären, »aber …«
»Wir müssen es noch einmal machen.«
»Dylan …«
»Nicht Dylan!«, protestierte er wütend. »Ich heiße nicht Dylan.«
Sofort kniete Emma vor ihrem Sohn nieder und grub ihre Finger in die zarte Haut seiner dünnen Arme. »Doch, so heißt du. Dein Name ist Dylan Frost. Sag es.«
»Nein.«
»Weißt du nicht mehr, worüber wir geredet haben? Dass es sehr wichtig ist, dass du Dylan Frost bist. Zumindest noch eine Zeit lang.«
»Ich will aber nicht Dylan Frost sein.«
»Willst du, dass sie kommen und dich mir wegnehmen? Willst du das?«
Ihr Sohn schüttelte mit verängstigt aufgerissenen Augen heftig den Kopf.
Emma wusste, dass sie aufhören sollte, aber sie konnte nicht. Sie musste ihrem Sohn begreiflich machen, wie wichtig es war, dass sie ihre Scharade weiterspielten, dass ihr Glück und ihr Wohlergehen davon abhingen. »Du willst doch nicht bei irgendwelchen Fremden leben, oder?«
»Nein!«, rief ihr Sohn und kuschelte sich enger in ihre Arme, die kleinen runden Wangen feucht von Tränen.
»Okay, also wie heißt du?«
Die einzige Antwort war ein unterdrücktes Schluchzen.
Emma drückte ihren Sohn auf Armlänge von sich weg. »Wie heißt du, Junge?«, fragte sie wie irgendjemand, der ihn auf der Straße getroffen hatte.
»Dylan«, stotterte der Kleine schluchzend.
»Dylan und weiter?«
»Dylan Frost.«
»Dann ist’s ja gut.« Emma schloss die Augen, zog ihren Sohn an sich und wiegte in sanft in ihren Armen. »Das ist wirklich gut, Dylan. Du bist so ein braver Junge. Mommy ist so stolz auf dich.«
»Ich bin Dylan Frost«, bekräftigte er noch einmal.
»Ja, der bist du. Und weißt du, was?«
»Was?«
»Es ist fast Schlafenszeit, Dylan Frost. Wenn du also willst, dass ich mich verstecke, sollten wir uns beeilen. Bist du bereit?«
Er nickte, und eine Strähne seines hellbraunen Haares fiel in seine verstörten blauen Augen.
Wahrscheinlich wurde es auch Zeit, ihm die Haare nachzufärben, dachte Emma, beschloss jedoch, diesen Kampf auf einen anderen Tag zu verschieben. »Okay, fang an zu zählen.«
Dylan zählte noch einmal, Emma versteckte sich wieder hinter dem Duschvorhang, und Dylan rannte erneut nach unten, um in den Küchenschränken nachzusehen. Emma blickte auf die Uhr. In wenigen Minuten würde Mrs. Discala hier sein, und sie war noch nicht einmal annähernd fertig. Sie
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