Traeume Suess, Mein Maedchen
bedeutet« mit einem großen grünen Hügel, einem Strichmännchen im roten Mantel mit überdimensionierten Schlittschuhen, das freudig in die Luft sprang und lächelnd Arme und Beine spreizte, einer Sonne in der rechten Ecke sowie blauen und pinkfarbenen Smileys, die wahllos über das Bild verteilt waren. »Dylan. Komm, Schatz. Wo bist du?« Emma sah auf die Uhr. Es war erst kurz nach sieben. Damit blieb ihr noch eine halbe Stunde, um ihre Haare zu trocknen, sich anzuziehen und die diversen Zu-Bett-Geh-Rituale ihres Sohnes zu begleiten, bevor sie zu Lily aufbrechen musste. Hoffentlich schlief er schon, wenn Mrs. Discala kam. Vorausgesetzt natürlich, sie konnte ihn finden.
Im selben Moment packte sie eine Panik, die sie am ganzen Körper erstarren ließ. Was, wenn ihr Versteck entdeckt worden war? Was, wenn Dylans Vater sich, als sie singend unter der Dusche stand, Zugang zum Haus verschafft hatte? Was, wenn er mit ihrem Sohn in der Dunkelheit verschwunden war? Sie könnte sich nur selber die Schuld geben, dachte sie. Es war absolut unnötig gewesen, sich die Haare zu waschen. Es hatte auch vorher vollkommen in Ordnung ausgesehen. Warum versuchte sie, ein paar Frauen zu beeindrucken, die ihr so gut wie unbekannt waren und sie noch weniger kümmerten, Frauen, deren Gesellschaft sie ausdrücklich gemieden hatte, bis die vertauschte Post eine nette, bescheidene Frau vor ihre Tür geführt hatte, die ihr neuerlich die Möglichkeit eines Lebens angeboten hatte, das sich nicht in Weglaufen, Schlafen und erdrückenden Zu-Bett-Geh-Ritualen erschöpfte? Ein Leben mit Freundinnen und Gesprächen, dachte sie. Es war zu verlockend gewesen, um es abzulehnen. »Dylan!«, rief Emma noch einmal, gefährlich nahe am Rand der Hysterie.
»Ich verstecke mich«, ertönte eine kleine, gedämpfte Stimme aus seinem winzigen Kleiderschrank.
Emma atmete erleichtert aus. »Na, dann komm mal raus. Es ist Zeit, ins Bett zu gehen.«
»Du musst mich finden.«
Emma zupfte sich das Handtuch vom Kopf, warf es über ihre nackten Schultern und machte ein paar übertriebene Schritte in den kleinen Flur. »Ich muss dich finden? Aber du versteckst dich doch immer so gut. Das ist zu schwer.« Sie trampelte in ihr Schlafzimmer, öffnete die Tür ihres Kleiderschranks und schloss sie klappernd wieder. »Nein, da bist du nicht. Wo bist du dann? Kannst du mir einen kleinen Tipp geben?«
Gedämpftes Gelächter aus dem Nebenzimmer.
Emma kehrte in Dylans Zimmer zurück. »Und hier bist du auch nicht«, fuhr sie fort, nachdem sie ans Bett getreten
war und die heraushängende, dünne, braun-weiß gestreifte Decke angehoben hatte. »Hm. Vielleicht hast du dich ja unterm Bett versteckt.« Sie machte eine Pause. »Nein, unterm Bett bist du auch nicht.«
»Probier’s mal im Kleiderschrank«, flüsterte ihr Sohn.
»Ich glaube, ich sehe mal im Kleiderschrank nach«, verkündete Emma laut, durchquerte das Zimmer mit zwei raschen Schritten, riss die Kleiderschranktür auf und entdeckte Dylan sofort. Er hockte zusammengerollt auf dem Boden in der Ecke, den Kopf unter einem Berg Wäsche begraben, die sie bei ihrem letzten Gang zum Waschsalon vergessen hatte. »Nein, hier bist du auch nicht«, sagte Emma, während sich die Wäsche vor Lachen schüttelte. »Wo kannst du nur sein?«
»Guck auf den Boden, Dummi.«
»Auf den Boden? Auf dem Boden liegt nur ein Haufen dreckiger Wäsche.« Emma bückte sich. »Die bringe ich wohl am besten gleich in den Waschsalon und stecke sie in eine Waschmaschine, bevor sie das ganze Haus verpestet.«
Dylan kreischte entzückt auf, steckte den Kopf aus der Wäsche und verteilte sie überall in dem beengten Raum. »Ich bin’s, Mommy«, rief er und sprang in ihre Arme.
Emma taumelte scheinbar schockiert nach hinten. »Nein! Sag nicht, dass du dich in der Wäsche versteckt hast!«
Dylan nickte eifrig. »Ich hab dich reingelegt.«
»Das kann man wohl sagen.«
»Jetzt bist du dran.« Dylan kletterte aus ihren Armen und sah erwartungsvoll zu ihr hoch.
»Oh, Schätzchen, ich kann jetzt nicht. Ich muss mich anziehen und die Haare trocknen.«
»Nein. Du musst dich verstecken.« Tränen schimmerten in seinen großen blauen Augen.
Emma wusste, dass man sich besser nicht auf einen Streit mit diesen Augen einließ. »Okay. Aber danach machst du dich bettfertig. Abgemacht?«
»Abgemacht«, willigte Dylan ein.
»Mach die Augen zu und zähl bis zehn.«
Er war schon bei fünf, bevor Emma aus der Tür war. Wo sollte sie sich dieses Mal
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