Traeume Suess, Mein Maedchen
sie daran gedacht hatte, einen Schlafanzug anzuziehen, bevor sie sich gestern Abend in Dylans Bett gelegt hatte. Sie wollte schließlich nicht splitternackt bei zwei fünfjährigen Jungen hereinplatzen. Von wegen Kinder und Albträume, dachte sie mit pochenden Kopfschmerzen, die für den Morgen einen ausgewachsenen Kater versprachen. Vorausgesetzt, sie würde überhaupt wieder einschlafen können. »Alles in Ordnung, Dylan«, sagte sie, schaltete das Deckenlicht an und nahm ihren schluchzenden Sohn in die Arme. Neben ihm schlief Michael tief und fest, seine blonden Locken kräuselten sich auf dem weißen Kopfkissen wie eine Reihe feiner Anführungszeichen. »Psst. Alles in Ordnung, Dylan. Mommy ist hier. Du willst doch Michael nicht aufwecken, oder?« Emma
starrte Lilys Sohn an und fragte sich, wie irgendjemand bei dem Gejaule neben sich so fest schlafen konnte.
»Ich hatte einen Albtraum«, schluchzte Dylan und klammerte sich an sie.
»Ich weiß, Schätzchen. Aber jetzt ist er vorbei. Ich bin hier, und jetzt ist alles gut.«
»Da war ein Mann«, setzte Dylan an.
Das war eine neue Variante, dachte Emma. Bisher hatte sich Dylan nie wirklich an seine Träume erinnern können. »Ein Mann? Hast du ihn erkannt?«
Dylan schüttelte heftig den Kopf. »Ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Er hatte einen Hut auf.«
»Einen Hut?«
»Eine Baseballmütze. Wie Daddy sie hatte. Nur dass es nicht Daddy war«, fügte er hastig hinzu, als wollte er sie beruhigen. Schaudernd versuchte Emma, das Bild ihres Exmannes abzuschütteln, doch es war bereits zu spät. Er stand ihr grinsend auf der anderen Seite des Zimmers gegenüber.
»Er hat am Fußende des Bettes gestanden und mich beobachtet.«
»Nun, wie du siehst, ist jetzt niemand mehr da.« Emma löste sich aus der Umklammerung ihres Sohnes, ging zum Fenster und blickte auf die Straße hinunter.
Der Geist ihres Exmannes starrte von einer Laterne zu ihr hoch. Du kannst weglaufen, drohte die Erscheinung. Aber du kannst dich nicht verstecken.
Dylan rannte zu ihr, versteckte sich zwischen ihren Beinen und grub seine Finger so fest in den weichen Baumwollstoff ihrer Schlafanzughose, dass seine Nägel auf ihren Oberschenkeln kratzten. »Nein, Mommy! Nicht gucken! Nicht gucken!«
»Dort ist niemand, mein Schatz.« Sie hob ihn hoch. »Siehst du? Nur ein paar Insekten, die um die Laternen schwirren.«
»Warum machen sie das?«
»Weil sie vom Licht angezogen werden.«
»Warum?«
Oh Gott, nicht jetzt, dachte Emma, die um drei Uhr nachts zu erschöpft für das »Warum«-Spiel war, obwohl sie diese Sachen eigentlich wissen sollte. »Ich weiß es nicht, mein Schatz.« Damit sie besser sehen können? Weil sie die Wärme mögen? Weil sie von Todessehnsucht erfüllt sind?
»Der Mann hat gesagt, er würde mich in tausend kleine Stücke schneiden und an die Haie verfüttern«, sagte Dylan.
Haie in Ohio, dachte Emma. Kein Wunder, dass der Junge schreiend aufwachte. »Das würde ich nie zulassen«, versicherte sie ihrem Sohn. »Das weißt du doch, oder?«
Dylans Kopf wippte an ihrer Wange auf und ab, und seine Tränen benetzten ihre Haut.
»Jetzt bist du in Sicherheit, mein Kleiner«, erklärte sie ihm und trug ihn zurück zum Bett. »Dir kann nichts passieren, solange du bei mir bist. Ich werde dich immer beschützen.« Sie legte ihn neben Michael zurück ins Bett. »Und jetzt versuch zu schlafen, mein Schatz. Siehst du, wie fest Michael schläft?«
»Er hat keine Albträume.«
»Nein.«
»Er hat es gut.«
»Ja.« Emma küsste ihren Sohn auf die Stirn und strich ihm die Haare aus den Augen. »Für dich jetzt auch keine Albträume mehr, okay?«
»Bleib hier«, drängte er.
»Das geht nicht, Schätzchen. Es ist nicht genug Platz für uns alle.«
»Doch.« Dylan rutschte näher an Michael, der sofort auf seine Seite rollte, als wollte er Platz für sie machen. »Siehst du?«
»Okay.« Emma stieg neben Dylan ins Bett, und er legte sofort eine Hand auf ihren Bauch und ein Bein über ihren Oberschenkel, als wollte er sie einklemmen. Na super, dachte
Emma. Jetzt saß sie wirklich in der Falle. Sie schloss die Augen und betete, dass sie einschlafen würde. Aber jedes Mal wenn sie kurz davor war, strampelte Dylan mit den Beinen oder stöhnte leise und riss sie wieder aus ihrem Dämmerzustand. Das Pochen in ihrem Kopf wurde immer lauter, bis Emma wusste, dass sie in dieser Nacht wieder keinen Schlaf finden würde.
Sie war kaum zwanzig, als sie den Mann traf, der Dylans Vater werden
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