Traeume von Fluessen und Meeren
Monate hinweg geschrieben. John fühlt sich überlegen, aber er ist erschöpft. Er liegt in seinem engen kleinen Zimmer mit der lauten Klimaanlage. Er hat immer noch einen Kater, und in seinem Magen rumort es schon wieder. Aus irgendeinem Grund hat er den Laptop auf das Paschminatuch gestellt. Die schwarze Tastatur liegt auf einem lilafarbenen See mit goldenen Schlangen und Elefanten. Seltsamerweisestellt er sich vor, wie er das Tuch in sein altes Labor mitnimmt und über die Zentrifuge hängt. Er stellt sich vor, wie die Schlangen in dem lila See zum Leben erwachen, die Elefanten mit erhobenen Rüsseln umherschwimmen. Woher kommen diese Gedanken? John vermisst das wohlgeordnete, ruhige Labor, die Klarheit der Aufgabe, die er in einem Team mit vernünftigen Kollegen gemeinsam bearbeitet. Er unterbricht seine Lektüre, geht zum Schreibtisch und fängt an, auf der Rückseite eines weiteren Wäscheformulars etwas aufzuzeichnen. Die Stimme seines Vaters ist in diesen Mails viel deutlicher spürbar als in seinen Artikeln und Vortragstexten. John fängt an, ihn zu zeichnen.
Die Tinte in seinem Kugelschreiber will nicht richtig fließen. Er leckt an der Spitze. Ganz kurz hat er das beunruhigende Gefühl, das sich einstellt, wenn man versucht, sich an einen Traum zu erinnern, der nicht an die Oberfläche kommen will, ein Gefühl, als stießen die Gedanken an eine dunkle Mauer. Dann, ganz plötzlich, erscheinen mit einem Dutzend Strichen die Lippen, die Nase, die hängenden Augenlider, der belustigte, zurückhaltende Gesichtsausdruck. Das ist Dad! Dads abstehende Ohren, Dads dünnes Haar. Er kann es nicht fassen. Er war nie ein besonders guter Zeichner. Es hat ihm nie Spaß gemacht. Vater hat allen Briefen, die er John in die Schule geschrieben hat, Zeichnungen beigelegt: Zeichnungen von Insekten, Tieren oder Eingeborenen in traditionellen Kostümen, oft frei erfunden. John hat sie kaum angeschaut. Er hat seinen Antwortbriefen keine Zeichnungen beigefügt, er hat nur gefragt, was sie in den Ferien machen wollen und ob ihn jemand vom Flughafen abholt; das war immer ein Schreckensmoment, wenn er aus dem Flugzeug stieg und niemand da war. Und jetzt schaut sein Vater ihn von diesem Blatt Papier spöttisch an. Es ist unheimlich. John betrachtet das Gesicht seines Vaters auf der Rückseite des Wäscheformulars seines Hotels. Albert James: das wissende, sympathische, spöttische Lächeln. Er zieht sechs gerade schwarze Linien, um denMann einzurahmen, mit seinem Sarg. Dann überzieht er alles mit Schlangenlinien. Das Bild geht langsam darin unter.
Am 3. August 2005 um 8:42 schrieb Jasmeet Singh
Meine Eltern wollen, dass ich einen Mann aus Jaipur heirate, einen Jat-Sikh, einen Khalsa. Er ist Vertreter bei einer pharmazeutischen Firma in Ahmedabad. Er ist vermutlich sehr nett, ziemlich groß, und er geht ein bisschen gebückt. Wie du, Albert! Er befolgt die fünf großen K’s, okay! Der Haken an der Sache ist, dass ich ihn eigentlich nicht mag.
Am 10. August 2005 um 10:07 schrieb Jasmeet Singh
Sudeep ist ein Ekel!
Am 14. August 2005 um 09:10 schrieb Jasmeet Singh
Albert, es tut mir leid, dass ich gestern Abend nicht gekommen bin. Ich möchte nicht mehr kommen. Du hast ja Ananya und Vimala und Bibi. Soll Sudeep doch sie mit seinen dreckigen Pfoten befummeln.
Am 14. August 2005 um 11:35 schrieb Albert James
Du bist ein besonderer Mensch, Jasmeet. Ich fände es sehr schade, wenn du die Gruppe verlassen würdest. Du hast eine ganz besondere und sehr schöne Energie, und du bist die einzige Sikh. Es ist für uns alle gut, wenn du dabei bist. Wir alle wünschen uns das. Du bist eine wunderbare Tänzerin. Ich werde mit Sudeep reden. Ich bin sicher, er wollte nicht respektlos sein.
Am 27. August 2005 um 18:43 schrieb Jasmeet Singh
Avinash macht Geschäfte mit meinem Vater, und seine pharmazeutische Firma wird meinem Dad bald eine Reise nach London bezahlen. Alle wollen unbedingt, dass ich ihn heirate. Avinash spricht regelmäßig seine Gebete, sogar das Sandhana, und er schneidet sich nie die Haare (nie nie nie, nicht mal die supergespaltenen Spitzen!), und wenn er unterwegs ist, nimmt er Parauthas und Pakoras mit, die seine Mutter für ihn bäckt. Ich werde mein Leben lang die Lunchpakete für ihn machen. Sie wollen nicht, dass ich nach der Heirat arbeite. Ich werde lebendig begraben sein, nur noch fernsehen und zum Gurdwara gehen wie meine Mutter.
Am 27. August 2005 um 18:52 schrieb Jasmeet Singh
P.S. Ich werde an seinem
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