Traeume von Fluessen und Meeren
Wand.
Das Summen eines Elektromotors unterstrich die Anspannung der starr blickenden Gäste. Die gelben Blüten wurden von dem glänzenden Deckel gefegt und rieselten zu Boden, als der Sarg hinter dem Vorhang verschwand. Die beiden Farben, das Gelb und das Violett, schienen eine Trennlinie zu bilden, die sein Vater überwand. John sah, wie er fortging, sah, wie sich die Lippen seiner Mutter unter dem Schleier bewegten, sah die gelben Blütenblätter auf den Boden fallen. Eines der Mädchen hinter ihm hatte angefangen zu schluchzen. Kurz bevor der Sarg endgültig verschwand, presste Helen James durch den Schleier hindurch die Hände auf ihren Mund. Man hörte das metallische Klicken der sich schließenden Ofentür, dann ein dumpfes Tosen. Ein paar Sekunden sorgte der Gedanke an den verbrennenden Leichnam für absolute Stille im Raum. Dann sprang John auf und umarmte Helen.
Als sie am Arm ihres Sohnes aus dem Krematorium trat, hatte Helen James das Gefühl, als betrete sie einen riesigen, leeren Raum. Albert war nicht mehr da. Sie hatte eine Schwelle überschritten. Sie war wie benommen. Jetzt nahm sie die Beileidsbekundungen der Gäste entgegen. Sie kannte sie nicht sehr gut. Jetzt dankte sie den Schulmädchen, dass sie gekommen waren. »Das war sehr nett von euch. Ich bin euch sehr dankbar.«
»Ihr Mann war ein so großherziger und gebildeter Lehrer«, sagte die Nonne, verneigte sich leicht und nahm Helens Hand zwischen ihre Hände. »Die Mädchen haben ihn bewundert, Mrs. James.« Sie musste laut sprechen, um das Krächzen der Krähen zu übertönen. »Wir alle haben ihn bewundert.«
Die Mittagsluft über den fliegenden Vögeln schien weißer geworden zu sein, milchiger, und als Helen sagte, nein, sie hätte kein Mittagessen geplant, sie hätte eigentlich gar nichts geplant, um ehrlich zu sein, hatte sie keine Zeit gehabt, und sie würde natürlich in der Klinik gebraucht, da protestierten die Gäste von der Universität und bestanden darauf, sie und ihren Sohn zum Essen einzuladen. »Im Gedenken an Albert. Das ist das Mindeste, was wir tun können.«
»Ich bin dabei«, sagte John. Er war erleichtert, der feuchten Düsternis des Krematoriums entkommen zu sein.
Helen zögerte. Dann wurde ihr klar, dass es eine Lösung war: »Führen Sie uns aus, wohin Sie möchten«, sagte sie lächelnd. »Kommen Sie auch mit?«, fragte sie den Leiter der Theosophischen Gesellschaft und antwortete dann auf die Frage, die er kurz zuvor gestellt hatte: »Er hat mich gebeten, sie in die Yamuna zu streuen. Das ist mein Sohn John; John: Dr. Bhagwan Coomaraswamy, der Leiter der Theosophischen Gesellschaft.«
»Ich fürchte, ich weiß gar nicht, was Theosophie ist«, bekannte John, und jemand lachte.
Die Gruppe war noch dabei, sich auf verschiedene Autos zuverteilen, als ein Taxi in der Einfahrt erschien. Der Leichenwagen war längst weg. Die Schulmädchen zwängten sich in einen uralten Bus. Ein Mann stieg aus dem Taxi, ein Europäer, vielleicht auch ein Amerikaner, in zerknitterter westlicher Kleidung. In der seltsam leeren Gemütsverfassung, in die Helen gerade eintauchte, erkannte sie sofort, dass er soeben aus einem Flugzeug gestiegen war. Er kam direkt auf sie zu und streckte ihr eine Hand entgegen. Sie war überrumpelt.
»Sie müssen Helen James sein.«
Er hatte ein eher fleischiges Gesicht, wie ein Junge, der alt geworden ist, ohne erwachsen zu werden. Man wusste gleich, dass er warmherzig und eifrig sein würde. Er besaß die Art von Warmherzigkeit und Eifer, die irritierend sein können. Unwillkürlich hob Helen ihren Schleier und ließ ihn gleich wieder hinunter. Sie schaute ihn durch die Gaze an.
»Ich fürchte, ich bin zu spät«, sagte der Fremde. Er sprach mit amerikanischem Akzent und schaute zum Dach des Krematoriums hinauf, über dem sich steter grauer Rauch in der diesigen Luft verteilte.
Helen James reckte sich. »Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Ich glaube, ich weiß nicht …«
»Mein Name ist Paul Roberts. Es tut mir wirklich leid, dass ich zu spät gekommen bin. Mein Flug hatte Verspätung.« Er lächelte entschuldigend. »Ich würde sehr gern mit Ihnen sprechen, Mrs. James.«
Helen hatte keine Ahnung, wer der Mann sein konnte und woher er von der Bestattung gewusst hatte, wenn er aus England oder den Staaten kam. Sie wollte jetzt nur noch allein sein. Die Einladung zum Mittagessen hatte sie nur angenommen, weil John irgendwie beschäftigt werden musste. Die anderen saßen schon abfahrbereit in ihren
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