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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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Unwillkürlich griff er nach seinem Telefon, nur um erneut festzustellen, dass er es nicht dabeihatte.
    »Was kann ich für Sie tun, bitte?« Der alte Mann schob lautstark seinen Stuhl zurück, hob den Blick von seinem Buch und schaute sie über den Rand seiner Brille hinweg an.
    Während er sprach, huschte etwas Dunkles über den Boden. Es kam unter der Theke hervorgeschossen und verschwand dann wieder unter den Regalen in der Ecke.
    »Wir möchten Tee und Kuchen«, sagte Jasmeet.
    »Ich habe kein Geld«, protestierte John. Er wollte lieber eine Cola. Er hatte seit Wochen keine Cola getrunken.
    »Ich kann bezahlen«, sagte Jasmeet lächelnd. »Keine Sorge!«
    Das Mädchen wirkte jetzt aufgeräumt und zufrieden mit sich. Dieser abrupte Wechsel zwischen Ängstlichkeit und Selbstvertrauen verwirrte John. Hatten die anderen die Ratte auch gesehen? Es war definitiv eine Ratte gewesen. Er versuchte, sich auf das Mädchen zu konzentrieren, das sich jetzt das Tuch wieder um den Kopf legte. Sie hatten beide Sand auf den Lippen und an den Nasenlöchern.
    »Sind Sie wirklich von zu Hause weggegangen?«, fragte er.
    Der Kellner, oder vielleicht der Inhaber, stand auf. Einer der Männer aus dem hinteren Teil des Raums kam herunter, ging zur Tür, sagte ein paar Worte, schaute in den Sturm hinaus, schnitt eine Grimasse und ging wieder zurück.
    »Ja. Das habe ich Ihnen doch gesagt.«
    »Wann?«
    »Gestern.«
    »Und wo wollen Sie schlafen?«
    »Gestern habe ich in der Lobby Ihres Hotels geschlafen. Ich bin sehr spät gekommen.«
    »Aber warum sind Sie weggegangen?«
    »Sie haben die Mails gelesen. Sie werden es verstehen.«
    John hatte Schwierigkeiten, das Mädchen, das vor ihm saß, mit der Verfasserin der E-Mails in Übereinstimmung zu bringen. Jasmeet schaute ihn gespannt an, mit nervös zuckendem Mund und lebhaften Augen.
    »Ich möchte mir mein Leben selbst aussuchen«, sagte sie. »Das müssen Sie doch verstehen.«
    »Sie könnten zu Sudeep gehen.«
    Sie richtete sich theatralisch auf. »Sudeep hat versucht, mich zu töten, nach dem, was mit Albert passiert ist!«
    »Er weiß Bescheid? Sudeep?«
    »Alle wissen Bescheid! Alle waren neidisch.« Jasmeet kicherte. »Ich könnte Sie heiraten, Mr. John, und in London bleiben!« Sie stockte. »Wenn ich die Augen zumache, wenn Sie reden, dann könnten Sie Albert sein.«
    »Aber Sudeep war bei der Trauerfeier. Er hat nette Sachen über meinen Vater gesagt.«
    »Sudeep hat gesagt, ich hätte ihn umgebracht. Es wäre meine Schuld. Ich hätte einen großen Mann zerstört. Er hat Albert geliebt. Er hat gesagt, ich sei eine Hexe.«
    John wusste nicht, was er sagen soll. Als der Inhaber ein Tablett auf den Tisch stellte, wurde ihm schlecht. Seine Eingeweide regten sich. Er musste plötzlich auf die Toilette. Der Mann lächelte Jasmeet an, die hübsch zurücklächelte, und goss aus einer reich verzierten Porzellankanne Tee in ihre Tassen, die beide einen Sprung hatten.
    Das Mädchen trank und knabberte dazu ein Stück ziemlich trockenen Kuchen. Sie schaute ihn an. Wieder beugte sie ihren Kopf zu dem Essen hinunter, anstatt es an ihren Mund zu führen. Sie tauchte den Kuchen in ihren Tee und lutschte daran. Sie sah ein bisschen wie ein Eichhörnchen aus. Und sie hatte die seltsame Angewohnheit, im Sitzen leicht hin und her zu schwanken, so als bewegte sie sich zu einer Musik, die er nicht hören kann.
    John musste auf die Toilette.
    »Albert war in mich verliebt«, sagte Jasmeet schließlich. Sie hatte den Mund noch voll. »Aber er hat immer wieder gesagt, es sei eine Katastrophe. Er hat dauernd so viel Whisky getrunken. Es gab einen heftigen Streit zwischen mir und Sudeep. Er sagte, er würde mich töten. Mit dem Schauspiel war es vorbei. Alles abgesagt. Vielleicht ist es wirklich meine Schuld. Als mein Vater in London war, sind wir zum Neemrana gefahren. Albert hat mich mitgenommen. Es war sehr aufregend. Das Neemrana Fort ist ein Palast an der Straße nach Jaipur. Das habe ich Ihnen ja schon gesagt. Es gibt dort hübsche grüne Vögel und einen Swimmingpool. Das Essen ist wirklich zu gut. Und schöne Zimmer mit schönen alten Möbeln. Sehr alt. Albert war so glücklich, er hat viel gegessen, aber auch immer wieder gesagt, es wäre eine Katastrophe. Er hat dauernd getrunken. Er war krank.«
    Das Mädchen seufzte tief. »Ich wollte, dass Albert mich nach England mitnimmt. Niemand war je so nett zu mir. Seine Stimme war genauso wie Ihre, Mr. John. Es war wunderschön, mit ihm zusammen zu

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