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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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auszubrechen. »Leute sterben nicht aus Liebe, Jasmeet«, sagte er. Es war das erste Mal, dass er sie beim Namen nannte. Die Absurdität des Gedankens erheiterte ihn. »Schon gar nicht ein intellektueller Tölpel wie mein Dad!«
    Die Miene des Mädchens verfinsterte sich.
    John beugte sich trotz seiner Schmerzen über den Tisch. »Wissen Sie, Dad hat geschrieben, Liebe sei nur ein besonders aufgeladenes Wort in einem Kommunikationsspiel. Er hat nicht daran geglaubt.«
    Jasmeet drehte ihren Stuhl weg und saß ganz still. Dann schaute sie ihn über die Schulter an. »Albert hat gesagt, ich hätte alles in seinem Leben verändert. Er sagte, er würde an der Liebe sterben. Er hat es in seiner letzten E-Mail geschrieben. Sie werden es im Computer sehen.«
    »Er meinte wohl eher, er würde vor Scham sterben, wenn meine Mutter je davon erführe«, sagte John kalt. Er stand auf. »Ich muss auf die Toilette.«
    Als er seinen Stuhl zurückschob, stellte John fest, dass er kaum aufrecht stehen konnte. Das Mädchen war bestürzt. Als er sich umdrehte, um den Inhaber nach der Toilette zu fragen, wiederholte sie nur: »Albert hat versprochen , mir zu helfen.«
    »Ich fürchte, auf der Toilette ist kein Licht«, sagte der Inhaber. Sein Englisch war erstaunlicherweise ausgezeichnet. »Ich würde Ihnen nicht raten, sie zu benutzen, Sir. Wir haben ein Problem mit dem Licht.«
    »Ich muss wirklich dringend«, sagte John.
    Der Mann legte sein Buch hin und lächelte. »Nun, auf eigene Gefahr, Sir. Ich fürchte, es ist keine sehr vornehme Toilette, und wir haben kein Licht. Ich warte auf den Elektriker, damit er es repariert. Die Leitungen sind sehr alt in diesem Teil von Delhi, wissen Sie.«
    In Johns Bauch rumorte es. Es ging um Sekunden, dachte er, und im selben Moment wurde ihm klar, was für eine Farce das hier war: die Theorien seines Vaters, diese Szene im Café. Die totale Farce. Und dafür habe ich eine ernsthafte Arbeit aufgegeben! Statt daran zu arbeiten, wie man ein Ribosom dazu bringt, steril zu werden, hatte er sich selber in eine Situation manövrieren lassen, die völlig grotesk war, und steril auf jeden Fall. Seine Eingeweide kreischten förmlich.
    »Die Treppe hoch und dann rechts«, sagte der Inhaber, immer noch in warnendem Tonfall.
    John zwang seine Gedärme, noch auszuhalten, und lief steif ans Ende des Raums. Die zwei Stufen hoch, außerhalb des Gastbereichs, war alles schmutzig, und es war wesentlich heißer. Die vier Männer, die auf dem Boden saßen, schienen Arbeiter zu sein, sie waren unrasiert und ihre Turbane saßen lose. Vielleicht waren auch sie wegen des Sturms hereingekommen. Sie waren mit dem Essen fertig, unterhielten sich leise und tranken Orangenlimonade aus Flaschen. Hinter ihnen gingen zwei dunkle Flure ab.
    »Die Toilette?«, murmelte John verlegen.
    »Toilette?« Die Männer fingen an, auf Hindi miteinander zu reden.
    »Nicht Toilette.« Einer von ihnen schüttelt den Kopf. Er nickt in Richtung Dunkel auf der rechten Seite. »Nicht benutzen Toilette.« Er zieht einen Schmollmund und macht entmutigende Gesten mit den Armen. Einer der anderen Männer lacht.
    »Hier ist doch eine Toilette, oder?«
    Der Kopf des Mannes wackelt entschuldigend, als wolle ersagen, ja, hier ist eine, aber eigentlich ist hier keine. John kann nicht länger an sich halten. Er stürzt los nach rechts, wo der Mann hingezeigt hat, und nach ein paar Metern im Stockdunkeln erkennt er eine Tür.
    »Sir!«
    John dreht sich um. Mit absurd grimmigen Mienen schütteln alle vier Männer die Köpfe.
    Die Tür ist schmierig, aus abgesplittertem schwarzem Holz, verschlossen mit einem Haken, der in einen Ring gehängt wird. John hat keine andere Wahl, als ihn hochzuheben und die Tür mit einem Ruck aufzureißen. Dadurch setzt er einen unvorstellbaren Gestank frei. Es erscheint unglaublich, dass er ihn nicht sofort wahrgenommen hat, als er das Café betrat.
    Sein Darm will jetzt nichts mehr halten. Er hat gewartet unter der Bedingung, dass es sich nur noch um Minuten, dann um Sekunden handeln würde. Er hat sich selber davon überzeugt, dass die Erleichterung unmittelbar bevorsteht. Als John die Tür öffnet, verspürt er einen plötzlichen, unwiderstehlichen Druck. Die Männer hinter ihm lachen. Der Gestank kommt aus der totalen Dunkelheit. Nicht der kleinste Lichtschimmer ist zu sehen. Unwillkürlich streckt er die Hand aus und sucht nach dem Lichtschalter, den er erstaunlicherweise sofort findet. Aber das Betätigen hat keinerlei

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