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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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sein. Er hat von all den Orten gesprochen, zu denen wir fahren würden, und dann sagte er, es sei eine Katastrophe. Das war ein Wort, das er sehr oft gebrauchte.«
    Sie schwieg.
    »Albert sagte, er sei sicher, wir würden weggehen, woanders zusammenleben. Er war glücklich. Er hat einen Brief geschrieben, um Ihnen von uns zu erzählen. Dass wir weggehen würden.Aber er bekam den Brief nie fertig. Er sagte zu mir, vielleicht wäre der Brief gar nicht an Sie. Ich war beunruhigt. Er hat auch andere Sachen geschrieben. In unserem Zimmer stand ein alter Schreibtisch. Albert konnte nicht schlafen. Er hatte komische Träume. Er wachte immer wieder auf. Er war glücklich, sagte er, aber er konnte nicht schlafen wegen seiner Träume. Er versuchte, sie aufzuschreiben.«
    Sie hielt inne und schob eine Hand über den Tisch. »Hören Sie mir zu, Mr. John?«
    John blickte auf. Das Mädchen hatte einen Krümel im Mundwinkel. Er hielt sich den Bauch.
    »Und was haben Sie sonst noch gemacht? In diesem Palast?«
    »Es gibt dort einen Swimmingpool. Wir haben Spaziergänge gemacht. In der Nähe ist ein alter Treppenbrunnen. Haben Sie davon gehört? Er ist sehr berühmt. Wie ein großes umgekehrtes Gebäude, das bis tief unter die Erde reicht.«
    John verstand kein Wort, aber er war verblüfft über ihren verschleierten Blick. Es war unmöglich, ihr nicht zu glauben.
    »Wir sind alle Stufen bis nach unten gestiegen, bis ganz nach unten, Hand in Hand; es ist ein sehr tiefer Brunnen. Es sind neun Stockwerke, die in die Erde hineinführen. Haben Sie je so einen Brunnen gesehen? Es ist wie ein umgekehrter Tempel. Sehr, sehr alt. Man steigt hinab. Neun Stockwerke. Aber auf dem Grund ist jetzt kein Wasser mehr. Es ist ein uralter Brunnen. Albert meinte, es sei wie das Paradies.« Sie hielt inne, erinnerte sich. »Er hat gern meine Hand gehalten. Er sagte, er fände das wunderschön.«
    »Und?« John litt. Er brauchte wieder Bananen, keinen Kuchen.
    »Er hat mich gerne tanzen sehen. Ich habe unten am Ende der Treppe für ihn getanzt. Neben dem Brunnen. Niemand war da. Er sagte, auch ohne Wasser würde mein Körper fließen. Wie eine Schlange.« Sie lachte. »Es war schön zu spüren, dass er mirzusah. Er hat wunderschöne Sachen gesagt. Er sagte, er könne das Wasser in meinem Tanz hören. Es war wie ein Traum.«
    John wollte das alles überhaupt nicht hören. Sein Vater hätte es besser wissen müssen. »War er nicht krank? Im November muss er schon ziemlich krank gewesen sein.«
    Sie klaubte die Krümel vom Teller. »Nicht sehr. Nicht wirklich krank. Er hatte nur manchmal Schmerzen.«
    »Aber wenn …«
    »Albert war sehr glücklich und sehr …« Sie seufzte. »Vielleicht hat er an Ihre Mutter gedacht. Er hatte ein trauriges Schicksal, glaube ich. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll.«
    »Und warum haben Sie gesagt, Sie seien schuld an seinem Tod?«
    Jasmeets Blick verdüsterte sich. »Ich habe ihn verlassen, Mr. John. Ich dachte: Dieser Mann kann sich nicht entscheiden, er wird sich nie entscheiden, er kann noch nicht mal einen Brief zu Ende schreiben. Bald kommt mein Vater aus London zurück. Dann ist die Hölle los. Eines Tages traf ich dort einen Fahrer, der Sikh war und nach Delhi zurückfuhr, und ich bat ihn, mich mitzunehmen. Ich wollte die Katastrophe vermeiden.
    Dann, als ich wieder zu Hause war, und mein Vater auch wieder da war und Avinash zum Essen kam, war alles ganz schrecklich. Ganz schrecklich. Sie sagten mir, ich müsse heiraten. Ich wünschte, ich wäre bei Albert geblieben. Ich dachte, vielleicht entscheidet er sich, jetzt, wo ich so lange nicht bei ihm war. Jetzt würde er verstehen, was er verlor. Er hatte angefangen, mir wieder E-Mails zu schicken. Ich dachte, das sei ein Zeichen. Er sagte, dass er mich liebe. Aber das haben Sie ja schon im Computer gelesen.
    Also entschloss ich mich eines Tages, zu ihm zu gehen und ihn zu überraschen. Ich wollte ihn einfach unbedingt sehen. Ich konnte nicht widerstehen. Ich nahm den Bus zur Universität. Es regnete stark, und ich hatte es so eilig, auszusteigen und michirgendwo unterzustellen, dass ich das Motorrad nicht gesehen habe. Verstehen Sie. Rums. Bäng. Dann bin ich im Krankenhaus aufgewacht und konnte tagelang niemanden sehen. Und jetzt werde ich nie wieder tanzen können.«
    Jasmeet schwieg und biss sich auf die Lippe. Leiser fügte sie hinzu: »Ich glaube, Albert ist aus Liebe zu mir gestorben.«
    Nur das akute Unbehagen im Bauch hielt John davon ab, in Lachen

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