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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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hochgerutscht. Ein Dutzend bunter Armreifen glitzerten an ihren schlanken Handgelenken. Ihre Finger blieben einen Augenblick auf seiner Brust liegen.
    »Ich möchte nach England. Ich habe einen Pass und ein Visum. Ich habe mein ganzes Geld dabei. Lassen Sie mich mit Ihnen zurückreisen.«
    John wandte sich wieder ab und lief eilig ein paar Stufen hinunter, hielt aber sogleich inne und wartete, bis sie ihn eingeholt hatte. »Wie kommt es, dass Sie den Computer meines Vaters hatten?«, fragte er unvermittelt. Dann fiel ihm ein, dass er noch nicht einmal nachgesehen hatte, ob sich auf dem Ding irgendein laufendes Arbeitsprojekt befand.
    »Sie haben die letzte Nachricht nicht gelesen?« Sie hielt sich an seinem Arm fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Er hat mir gesagt, ich soll ihn mitnehmen. Er hat mir gesagt, wo er ihn hinstellt. Er starb. Er wollte nicht, dass andere es sehen.«
    »Warum haben Sie den Computer dann zu mir gebracht?«
    Sie zögerte. »Ich brauche Hilfe, Mr. John. Albert hat immer gesagt, er würde mir helfen, wenn ich mich entschließen würde, wegzugehen. Sie sind sein Sohn. Ich dachte, Sie würden mir helfen.«
    John schüttelte den Kopf. Das Mädchen war eine Ablenkung. Ganz Indien lenkte ihn ab von der Arbeit, die er eigentlich machen sollte. Er musste die Sache mit seiner Mutter austragen und dann nach London zurückfliegen und sich wieder an die Arbeit machen.
    Wieder ging John ein paar Stufen hinunter. Sie folgte ihm eilig. Es waren vier miefige, erdrückende Stockwerke, die Treppe führte ewig abwärts, an alten braunen Türen vorbei. Ihrer beider Schritte klapperten in der Hitze. Unten, am Ende eines langen Korridors, lehnte ein Mann in Uniform an der Wand. Als er sie zur Tür laufen sah, sagte er etwas auf Hindi zu dem Mädchen, und sie antwortete in leicht verzweifeltem Ton.
    »Er sagt, es ist ein schlimmer Sturm.«
    John zog die große Tür auf. Als er in den wirbelnden Staub hinaustrat, fiel ihm ein, dass er sein Handy im Zimmer gelassen hatte. Elaines Nachrichten würden ihm fehlen. Egal. Elaine war auch eine Ablenkung. Jetzt zählte nur das Wesentliche. Nur diebevorstehende Auseinandersetzung. Von hinten griff Jasmeet nach seinem T-Shirt. »Mr. John! Warten Sie!«
    Auf der Straße stob der Staub in scharfen, trockenen Stößen durch die Luft und wirbelte herum wie dunkler Schnee. John ging schnell. In manchen Augenblicken war alles braun und undurchdringlich, dann war die Straße wieder zu sehen, und er erkannte die bewegten Schatten von Rädern, Autos und Rikschas. John war schon fast bei dem Taxi, als ihm klar wurde, dass er Bargeld brauchte. Er brauchte einen Geldautomaten. Er bog um eine Ecke und ging zu Fuß weiter. Wo hatte er beim letzten Mal Geld abgehoben? Das übliche Hupkonzert war zu hören. Eine Kuh hatte hinter einem parkenden Lastwagen Schutz gesucht. Jasmeet humpelte immer noch hinter ihm her und hielt sich dabei ihr Kopftuch vors Gesicht. John wusste nicht, was er mit ihr machen sollte. Er konnte sich nicht entscheiden. Dann schleuderte ihm ein Windstoß so viel Split entgegen, dass er den ganzen Mund voll hatte und Schutz in einem Hauseingang suchte. Der Wind war wild. Sand knirschte zwischen seinen Zähnen. Jasmeet kam herbei, tief gebeugt, mit flatternden Kleidern.
    »Kommen Sie hier herein«, sagte sie. »Kommen Sie hier herein, Mr. John.«
    Es war ein Art Esslokal. An der Decke drehte sich ein Ventilator. Der Raum hatte einen kleinen alten Holztresen und hohe Regale, auf denen hinter schmierigem Glas Dosen und Gläser standen; alle Oberflächen sind bedeckt mit Werbung für Getränke und Zigaretten, die aus den Fünfzigerjahren zu stammen scheint. Die Tische waren aus Holz. An einem saß ein älterer Mann und las in einem Buch.
    »Lassen Sie uns hier bleiben«, sagte Jasmeet.
    John versuchte, sich den Staub von den Lippen zu wischen und setzte sich. An seinen Nasenflügeln und in den Augenwinkeln spürte er Krusten. Und das schon nach einer Minute draußen. Hinter den Tischen war der Fußboden um zwei Stufenerhöht, und auf der Plattform saßen ein paar Männer auf dem Boden, aßen von einem gemeinsamen großen Teller und unterhielten sich leise.
    Jasmeet schüttelte den Staub aus ihrem Tuch. Es war heiß im Raum. Die alten Holzstühle waren wacklig. »Das ist ein iranisches Lokal«, sagte sie flüsternd. »Bestimmt gibt es hier gutes Gebäck.«
    Johns Frustration wurde immer größer. Was zum Teufel mache ich hier? Er wollte eine Lösung.

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