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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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immer in der verzweifelten Stimmung von vorhin gefangen. Wie auch immer, er bewunderte sie, weil sie trotz allem zur Arbeit ging. Helen lässt sich von nichts überwältigen, dachte er. Andere Frauen wären völlig aufgelöst gewesen.
    »Wenn ich ihn von meinem Telefon aus anrufe«, sagte Elaine, »dann geht er vielleicht nicht ran. Meine SMS hat er auch nicht beantwortet. Aber wenn jemand anders es versuchen würde …«
    »Geben Sie mir die Nummer«, bot Paul an.
    »Ja, versuch du’s mal«, sagte Helen, die gerade ihren Gürtel zumachte. »Wahrscheinlich ist er einfach alleine irgendwo hingefahren.« An der Tür griff sie nach ihren Schuhen.
    Paul gab die englische Nummer in sein Telefon ein und wählte. Er hörte das Knistern von Funksignalen, die eine Verbindung suchten, und wartete. Schließlich kam eine Bandansage.
    »Er hat sein Handy ausgeschaltet.«
    Helen schien weder überrascht noch enttäuscht zu sein, sie wirkte geradezu desinteressiert. Sie nahm den Hörer des Festnetztelefons ab, um sich ein Taxi zu rufen. Offensichtlich erpicht darauf, allein zu sein, lächelte sie die beiden gezwungen an, während sie auf Hindi etwas sagte, dann legte sie auf, kam zum Sofa und setzte sich dem Mädchen gegenüber auf ein Kissen.
    »Elaine, meine Liebe …«
    Ganz unerwartet streckte sie die Hand aus, nahm die Hand der jüngeren Frau und lächelte herzlicher. »Elaine, es handelt sich bestimmt nur um ein Missverständnis oder ein Kommunikationsproblem. Wissen Sie?« Sie benutzte den Tonfall, mit dem sie ihren Patienten gut zuredete, wenn sie abends die Station verließ.
    »John hat so begeistert von Ihnen gesprochen, als er hier war. Er hat mir erzählt, Sie seien eine großartige Schauspielerin und er sei sehr glücklich mit Ihnen, und ich habe mich natürlich sehr für ihn gefreut. Haben Sie denn für heute Nacht einen Schlafplatz? Hier in der Wohnung ist es ein bisschen eng, fürchte ich.«
    Elaine hatte sich um nichts gekümmert. Der Flug hatte mehrere Stunden Verspätung gehabt, weil sie wegen des schlechten Wetters ewig Kreise ziehen mussten. Sie war ganz sicher gewesen, dass John hier sein würde.
    »Das macht nichts. Mal sehen, für heute Nacht wird sich Paul um ein Hotelzimmer für Sie kümmern, nicht wahr, Paul?«
    »Kein Problem«, sagte Paul sofort.
    »Und morgen sehen wir dann weiter und überlegen uns, was zu tun ist und wie wir John für Sie finden können.« Helen klang jetzt, als rede sie mit einem kleinen Kind.
    »Danke«, murmelte Elaine.
    Helen stand auf und schaute sich in ihrem weißen Kleid um, ob sie auch nichts vergessen hatte. Ach ja, der Schirm. »Die Taxis kommen hier bloß von der nächsten Ecke«, sagte sie. »Ich sollte mich beeilen.«

    Paul und Elaine hatten noch eine halbe Kanne Tee für sich übrig. Sie standen am Fenster und schauten zu, wie der Wagen wegfuhr.
    »Ich weiß, sie engagiert sich sehr für ihre Arbeit«, sagte Elaine schließlich. Sie setzte sich an den Tisch und starrte ihre Finger an. »John bewundert sie sehr. Er erzählt mir dauernd von ihr.«
    »Sie ist eine bemerkenswerte Frau«, stimmte Paul zu. »Und Albert James war ein bemerkenswerter Mann.« Ganz kurz hatte er das Gefühl, eine Art Ministrant geworden zu sein. Die James’ waren wie eine Religion.
    »Ich habe versucht, ein Buch von ihm zu lesen. John hat mir eins gegeben. Aber ich fand es ziemlich schwierig.«
    »Kommt drauf an, welches«, sagte Paul. »Die frühen sind leichter. Das ist bei den meisten Autoren so.«
    Er fand es komisch, dass Helen seine Recherche für die Biografie erwähnt hatte, obwohl er ihr schon drei, vier Mal gesagt hatte, dass er sie aufgegeben hatte. »Eigentlich«, hatte er plötzlich das Bedürfnis zu sagen, »habe ich den Gedanken verworfen, über ihn zu schreiben. Ich möchte lieber ein, zwei Jahre in der Entwicklungshilfe arbeiten. Helen will versuchen, etwas für mich zu finden.« Er stockte und fragte sich, warum er ihr das erklärte. »Vielleicht hat Indien so eine Wirkung auf die Menschen.« Er lachte halb. »Also Vorsicht.«
    Elaine hatte nicht zugehört. »Könnten Sie noch mal anrufen?«, bat sie. »Vielleicht hat er es inzwischen eingeschaltet.«
    Paul holte sein Handy heraus und drückte auf die Wahlwiederholung. Es ging immer noch niemand ran.
    »Also ich verstehe das nicht!« Sie sprang erneut auf. »Er lässt sein Telefon immer an, immer, sogar wenn er schläft. Er ist ganz wild auf Nachrichten. Außer er hat es verloren.« Mit einer Hand raufte sie sich das Haar,

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