Traeume von Fluessen und Meeren
unüblich, war der Speisesaal des Centre so stark klimatisiert, dass sie beide Angst hatten zu erfrieren. Daher ging Elaine, während sie auf das Essen warteten, noch einmal hinauf in ihr Zimmer, um sich eine Jacke zu holen. Als sie zurückkam, trug sie nicht nur eine Jacke, sondern auch Parfum. Ein süßer, mädchenhafter Duft, dachte Paul. »Und für Sie habe ich ein Halstuch mitgebracht«, sagte sie lächelnd. Sie reichte ihm ein Viereck aus rosafarbener Seide. Ihre entschlossene Fröhlichkeit machte ihre Beklommenheit nur noch spürbarer.
»Ich weiß nicht, ob das gut ist für meinen Ruf«, sagte Paul lachend und warf sich mutig das Tuch um den Hals. Es war eindeutig zu kühl im Raum.
»Was für einen Ruf haben Sie denn?«
»Hmm, das verrate ich Ihnen lieber nicht.«
»Das Rosa ist hübsch zu dem braunen Hemd«, sagte Elaine zu ihm. »Die Farben vertragen sich.«
»Ich fürchte, hübsch trifft es ziemlich gut«, sagte er, während er einen Knoten machte. Er verzog das Gesicht. »Na ja, ich glaube, der feminine Look ist zurzeit in.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Sie sehen kein bisschen feminin aus«, sagte sie. Dann traf eine Nachricht auf ihrem Handy ein. Sie las sie und antwortete wieder mit schnellen Bewegungen ihrer zierlichen Finger. Paul sah, dass ihre Nägel abgekaut waren. Sie hielt sich das Telefon mit beiden Händen vors Gesicht.
Als das Essen kam und sie den ersten Bissen kaute, sagte sie: »Erzählen Sie mir, wie es ist, Schriftsteller zu sein, Paul.« Sie sprach seinen Namen sehr bestimmt aus, so als fürchte sie, sie könne ihn vergessen. »Ich bin noch nie einem Schriftsteller begegnet. Erzählen Sie mir von Ihrem Buch über Johns Dad.«
»Ich dachte, ich hätte schon erklärt, dass ich es aufgegeben habe«, sagte Paul.
»Ach so, ja.« Sie wurde wieder nachdenklich. »Da wird John enttäuscht sein.«
»Wie auch immer, über das Schriftstellerdasein gibt es reichlich wenig zu sagen. Im Grunde ist es nur eine von vielen Formen des Größenwahns.«
»Was soll das heißen?« Sie runzelte die Stirn. Sie schien auf eine ernsthafte Diskussion aus zu sein.
»Na ja, Leute, die berühmt werden wollen«, sagte er achselzuckend. »Schriftsteller, Schauspieler, wir sind alle gleich.«
»Das glaube ich ganz und gar nicht«, protestierte sie. »Die Schauspieler, die ich kenne …«
Unvermittelt schaute sie auf ihren Teller hinunter, und ihre Wangen erstarrten, so als sei ihre Zunge im Mund auf etwas Unangenehmes gestoßen. »Wissen Sie, ich habe auch gerade ein Projekt aufgegeben.«
Paul wartete, während sie den nächsten Bissen aß. Das Bild einer jungen Frau, die eine Krise durchmachte, war ihm nicht unvertraut. In der Vergangenheit waren solche Mädchen für ihn leichte Beute gewesen, denn sie klammerten sich an jeden, der ihnen ihre Selbstachtung zurückgab.
»Ich bin vor zwei Tagen einfach aus der Probe weggelaufen.« Elaines Stimme war ruhig, aber brüchig. »Es wäre mein erstes Stück gewesen. Mein Wunschtraum.«
Er betrachtete sie. »Warum haben Sie es dann getan?«
Wieder zupfte sich Elaine am Ohr und legte dabei den Kopf schief. Es schien ihr nicht bewusst zu sein, wie kindisch das wirkte. »Wir haben monatelang geprobt, und ich habe immer noch nichts richtig gemacht. Jedenfalls nach Meinung des Regisseurs. Vermutlich konnte ich einfach keine weitere Kritik mehr ertragen.« Sie lächelte gequält. »Ich habe also meinen Freund und meinen Job verloren, innerhalb von einer Woche. Wie finden Sie das?«
»Doppeltes Pech«, gab Paul zu.
»Er hat gesagt, ich hätte die Rolle nie wirklich verkörpert , ich hätte sie nur gespielt . Quasi nachgeäfft. Er meinte, niemand würde sich mit der Figur identifizieren können, es wirke, als würde ich mich über das Stück lustig machen.« Sie kriegte ein halbherziges Lächeln hin: »Eigentlich ist es eine ziemlich blöde Geschichte.«
»Mit ›er‹ meinen Sie den Regisseur?«
»Hanyaki. Er ist Japaner. Er meint, ich sei nur Schauspielerin geworden, um den Leuten zu zeigen, wie gut ich Leute imitieren kann, denen ich mich überlegen fühle.«
»Aber Sie empfinden es offensichtlich nicht so.«
»Man geht nicht zwei Jahre lang auf die Schauspielschule«, sagte Elaine, »und verbringt Stunden um Stunden in Kursen, nur um am Ende zu zeigen, dass man Leute imitieren kann.«
Das Mädchen war schon wieder den Tränen nah. Paul schenkte ihr Wein ein. »Und jetzt sind Sie in Indien«, sagte er munter.
»Ich bin mitten in der Probe abgehauen. Vor
Weitere Kostenlose Bücher