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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Parks
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Organen. Seine Hände waren in seinem Bauch. Und seine Füße, die Waden, die Knie und die Oberschenkel waren miteinander verschmolzen. Ich bin ein Kokon, flüsterte er. Sein ganzer Körper hatte sich aufgelöst und war zu einer behaglich warmen Flüssigkeit geworden.
    John James wurde achtundvierzig Stunden auf demPolizeirevier festgehalten und dann entlassen, ohne dass Anklage erhoben wurde, nachdem man bei der Autopsie den Zeitpunkt und die Ursache des Todes seiner Mutter festgestellt hatte. Etliche heftige Schläge hatten den Körper der Frau getroffen, berichtete der untersuchende Arzt, aber das war mehrere Stunden nach ihrem Ableben gewesen. Bei einer kurzen morgendlichen Besprechung entschieden zwei höhere Beamte, dass die Polizei von Delhi Wichtigeres zu tun hatte, als solch ein seltsames Benehmen zu verfolgen. Der Junge war eindeutig verhaltensgestört. Beide Opfer waren Ausländer. Es gab keine Verwandten, die Genugtuung verlangten.
    Als er gegen elf Uhr vormittags zum Ausgang des Polizeireviers geführt wurde, stellte John verblüfft fest, dass dort Elaine auf ihn wartete. Ich bin wieder krank, dachte er.
    Elaine wollte wissen, ob alles in Ordnung sei. »John! O John!« Sie lächelte und weinte und umarmte und küsste ihn. Ihr flinker kleiner Mund drückte sich auf seine Wange und seine Nase. »Es ist so schön, dich zu sehen.«
    Überwältigt und hölzern stand John da und verstand nicht, wie seine Freundin so schnell hatte herkommen können. Wer hatte es ihr erzählt? Seine Lippen formten ihren Namen, aber er war nicht in der Lage, ihn auszusprechen.
    »Hi, ich bin Paul Roberts«, stellte sich der Mann vor, der neben ihr stand. Er streckte eine Hand aus, die John nicht ergriff. »Sie kennen mich nicht, aber ich hatte vor, eine Biografie Ihres Vaters zu schreiben. Ich habe die letzten drei Wochen bei Ihrer Mutter gewohnt.«
    Schließlich fand John seine Stimme wieder. »Können wir bitte gehen?«, fragte er.
    Im Taxi saß er zwischen den beiden und war sehr auf der Hut.
    »John«, wiederholte Elaine. »O Gott, ich bin ja so froh, dass sie dich rausgelassen haben. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
    Aber jetzt war John das Govind eingefallen. »Fahren Sie mich zur Bhavbhuti Marg«, sagte er und beugte sich vor, um dem Fahrer zu erklären, wo das war. »Jetzt gleich, bitte.«
    Als sie eintrafen, bestand er darauf, alleine hinaufzugehen. Er wolle nur seine Sachen holen, sagte er, und die Rechnung bezahlen. Es gebe keinen Grund, warum jemand mitkommen sollte. Er fragte, ob einer der beiden ihm 2000 Rupien leihen könne. Paul zückte sofort seine Brieftasche und zählte den Betrag ab.
    Als er die Treppen zum Hotel hinaufstieg, hatte John plötzlich Angst, Jasmeet könnte noch in seinem Zimmer sein. Er hatte sie schlecht behandelt, und sie wusste nicht, wo sie hin sollte. Sie würde Forderungen stellen. Sie würde von Flugtickets sprechen. Sie würde hinauslaufen und plötzlich Elaine gegenüberstehen.
    Auf einem staubigen Treppenabsatz, wo eine kleine Ganesh-Figur an einer alten braunen Tür hing, blieb er stehen. Der Gott lächelte sein dümmliches Elefantenlächeln. Hinter der Tür lachte jemand. John hörte eindeutig Lachen, und Musik. Er starrte die blöde Figur mit dem Jumbo-Körper und dem feisten Grinsen an. Wieso hatte er bei Jasmeet zugeschlagen? Sie konnte nichts dafür. Und wie konnte man so fröhlich sein, wenn der eigene Vater einem den Kopf abgeschnitten und ihn durch etwas Groteskes ersetzt hatte? Drei Elefanten, Sir! Er hörte die muntere Stimme des Händlers. Glückliche Familie, Sir. Ein Sohn, von dem er gewusst haben muss, dass es nicht seiner war , hatte seine Mutter geschrieben. In Johns Denken, genau im flüssigen Kern, dort, von wo die Gedanken blubbernd aufsteigen, setzte ein dumpfer Schmerz ein. »Zement«, murmelte er unwillkürlich. Und dann ganz unerwartet: »Einfach weitermachen, John.«
    »Welche Dame?«, fragte die Frau am Empfang kühl.
    »Sie erinnern sich, das Mädchen, das auf mich gewartet hat. Sie hat eine Nacht hier im Foyer verbracht.«
    Die Empfangsdame machte sich mit ein paar Papieren zu schaffen. »Die Dame hat das Hotel einige Stunden nach Ihnen verlassen, soweit ich mich entsinne.«
    »Und sie hat keine Nachricht hinterlassen? Sie ist nicht zurückgekommen?«
    »Nein, Sir.«
    Sofort war John enttäuscht. Jetzt hatte er das Gefühl, Jasmeet dringend sehen zu müssen. Er wusste nicht, warum, aber es gab einen Grund dafür. Hatte er seine Mutter tatsächlich

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